„Adlershof inside – ein Rundgang“
Im Altstadt-Kiez gibt es einiges zu entdecken
Ich bekenne: Ich bin Adlershofer durch und durch! Das schon lange vor dem Technologiepark und jetzt erst recht. Und wo bitte ist Adlershof? J. w. d. – janz weit draußen, oder wie ich auch höre, kurz vor der sibirischen Steppe. Der Eingang des 255-jährigen Ortes gegenüber der Bahnhofsbaustelle ist mit „Steppenwiese“ links und „Budenzauber“ rechts der Dörpfeldstraße potthässlich und wenig einladend. Aber kurz dahinter gibt es durchaus einiges Sehenswertes zu entdecken – wenn auch nichts Archäologisches wie Troja oder Pergamon, an dessen Ausgrabung der Namenspatron der Hauptstraße, Wilhelm Dörpfeld, maßgeblich beteiligt war. Linkerhand führt die Anna-Seghers-Straße zum Wohnhaus der Seghers. Die wohnte dort nach der Rückkehr aus dem Exil bis zu Ihrem Tod 1983. Als Kind begegnete ich ihr bei ihren Spaziergängen, als Schüler brachten wir Blumen zum Geburtstag. Ihre Wohnung ist unverändert geblieben und heute Gedenkstätte der Akademie der Künste. Bescheiden fast ärmlich wirken die Räume, einziger Luxus der Ofen mit Ofenbank und ihre übers Exil gerettete Bibliothek, bewacht von mexikanischen Tonfiguren. Schulklassen kommen heute wieder, eine der berühmtesten deutschen Autorinnen zu entdecken.
Die Industrie erreicht Adlershof
Folgt man der Anna-Seghers-Straße weiter, werden die Häuser kleiner und älter. Reihenhäuser und rote, schwedisch anmutende Holzhäuser sowie zweistöckige Kolonistenbauten in der Gemeinschafts- und Genossenschaftsstraße erinnern an das rapide Wachsen des Ortes vor 100 Jahren, als die Industrie den Vorort Adlershof erreichte. Auf dem parkähnlich gestalteten Friedhof am Rande der Köllnischen Heide, des Adlershofer Wäldchens, künden Grabmale wie das von „Schmiede-Paule“ vom auskömmlichen bürgerlichen Wohlstand damaliger Zeit.
Was ist, was war Adlershof? Zunächst ein Landgut, das Friedrich II. im „Sueszen Grundt“ gründen ließ, um sein Preußen zu „peuplieren“, zu bevölkern und neue Handwerke einzuführen. Dort entstanden Maulbeerplantagen zur Seidenraupenzucht. 1754 unterschrieb die „Königlich Preußische Churmärkische Krieges- und Domänenkammer“ mit dem Zinskontrakt die Geburtsurkunde für den Ort Adlershoff. Nach der erfolglosen Seidenraupenzucht zog es später Chemie- und Teerfabriken hierher und die „Fabrik isolierter Drähte zu elektrischen Zwecken“. Übrig geblieben ist nur das erfolgreiche Pharmaunternehmen „Berlin-Chemie“.
Mit der Industrie um die vorvergangene Jahrhundertwende kamen die Arbeiter und „kleinen Leute“ nach Adlershof, und beendeten die Pläne des Ortsvorstehers, hier ein Villenviertel entstehen zu lassen. Die als Sommersitz gebauten Häuser in der Arndtstraße künden noch vom einstigen Traum.
Verklärungskirche mit kaiserlicher Unterstützung
Wirklichkeit wurde stattdessen dort der Kirchbau in Adlershof. Mit „höchstdurchlauchtigster Unterstützung ihrer Majestät, Kaiserin Auguste Victoria“, konnte die evangelische Verklärungskirche nach nur einem Jahr Bauzeit im November 1900 geweiht werden – in Anwesenheit der Kaiserin, die „bestieg am Bahnhof einen offenen Vierspänner und fuhr unter lebhaften Zurufen der Bevölkerung durch die Bismarckstraße nach dem neuen Gotteshause, von dessen hohem Turme die schönen Bronceglocken erklangen,“ wie es dazu in der Chronik heißt.
Die Arndtstraße endet am idyllischen Arndtplatz, den ein Brunnen des bekannten Metallkünstlers Achim Kühn schmückt. Er ist wie sein Vater Fritz Kühn (A-Portal Berliner Stadtbibliothek) international wegweisend für die künstlerische Metallgestaltung – allerdings in Japan und Amerika bekannter als hierzulande.
Von der Flug- zur innovativen Gemeinschaftsschule
Vom Arndtplatz sind es nur wenige Meter bis zum imposanten Backsteinbau der Anna-Seghers-Schule, seit diesem Jahr eine innovative Gemeinschaftsschule. Die war bereits vor 100 Jahren dem Fortschritt verpflichtet: Sie beherbergte mit der „Luftfahrerschule Adlershof“ die erste Flugschule Deutschlands, die Piloten für den nahegelegenen Flugplatz Adlershof-Johannisthal ausbildete.
Zurück in der Dörpfeldstraße kündet ein weiterer Backsteinbau von einer Schule, allerdings ist sie heute Kulturzentrum u. a. mit einer kommunalen Galerie und der Bibliothek. Die trägt den Namen des Schriftstellers Stefan Heym, der zwar nicht in Adlershof wohnte, dessen Witwe aber der Bibliothek Gegenstände aus Heyms Nachlass übergab. Persönliche Dinge, Handschriften aber auch Videomitschnitte seiner Reden u.a. als Alterspräsident des Bundestages gibt es hier.
Kultur & Kulinarisches
Ein Bioladen und ein im Entstehen begriffener Feinkostmarkt im originell sanierten alten Kino „Capitol“ sind in Adlershof ebenso zu finden wie der Wochenmarkt. Das Programmkino „Casablanca“ in der Friedenstraße lädt ein zu Kultur und die Traditionskneipe „Hermannseck“, das Café „La Martina“ oder das argentinische Steakhaus „Posadas“ bieten Kulinarisches (von den vielen Italienern, Griechen und Chinesen nicht zu reden).
Was ist Adlershof heute? Vielleicht definiert es sich gerade neu, ist im Wandel begriffen vom Schlaf- und Rentnerort zu einem Wohnort mit Charme, mit kurzen Wegen in die City wie ins grüne Umland und ins „neue“ Adlershof jenseits des Bahndamms.
Thomas Prinzler