Alles im Fluss
Die Dekanin Caren Tischendorf sagt mittels komplexer Berechnungen Strömungsprozesse voraus – und hilft anderen Frauen, in den Naturwissenschaften Fuß zu fassen
Caren Tischendorf sorgt an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) dafür, dass alles optimal strömt – sowohl Frauen in die Naturwissenschaften als auch Elektronen, Gase und chemische Stoffe in Materialien, Versorgungsnetzwerken und chemischen Reaktionen. „Strömungsvorgänge mittels Differentialgleichungen zu modellieren und zu simulieren, gehört zu meinen beruflichen Schwerpunkten“, erklärt die Mathematikerin. Vorhersagen lässt sich damit zum Beispiel, wo und wann in einem System bestimmte Spannungen oder Drücke entstehen. Das kann helfen, Reaktionsvorgänge, Netzwerke und Bauteile möglichst optimal zu gestalten.
Die Anwendungsgebiete, in denen Tischendorfs Berechnungen gebraucht werden, sind vielfältig: So muss etwa im Rahmen chemischer Großprozesse zu jedem Zeitpunkt klar sein, wie hoch die Konzentration der reagierenden Stoffe ist, damit die Reaktion optimal verlaufen kann. Und die Betreiber:innen von Energienetzwerken müssen wissen, wie viel Strom oder Gas zu welcher Zeit an welchem Ort vorhanden ist. Am HU-Standort Adlershof, der in diesem Jahr 20-jähriges Jubiläum feiert, fließt Tischendorfs Expertise unter anderem in das Design elektronischer Bauelemente ein. Zentral sind dabei Vorhersagen, welche Spannungen beim Betrieb der Bauteile entstehen können und an welchen Stellen Energieverluste durch Erwärmung drohen.
Zum Beispiel: neuartige Halbleiter. Entworfen werden diese in Adlershof am neuen „Center for the Science of Materials Berlin“ (CSMB). „Hier beschäftige ich mich unter anderem damit, wie sich neue Strukturen in Mikrochips auswirken“, erklärt Tischendorf. „Durch Miniaturisierung kommt es auf so einem Chip auch zu unerwünschten Effekten.“ Die Mathematikerin entwickelt Hilfsmittel, mit denen sich solche Nebenwirkungen vorhersagen und quantifizieren lassen. „Das gibt uns die Möglichkeit, die Funktionsweise von Elementen auf dem Chip zu testen und die Elemente so einzubauen, dass unerwünschte Effekte so gering wie möglich ausfallen.“
Seit April 2022 strömen Tischendorfs Energien verstärkt in Führung, Koordination und Unterstützung von Forschung und Lehre – denn seitdem steht sie als Dekanin der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der HU vor. Unter anderem damit Nachwuchskräfte aus den MINT-Fächern und Arbeitgeber:innen am Standort zueinander finden, treibt sie die Vernetzung zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen voran. Hierzu arbeiten Tischendorf und ihre Mitstreiter:innen derzeit unter anderem an Plänen zu einem neuen Science HUB – einem Gebäude, in dem Adlershoferinnen und Adlershofer unter anderem in Begegnungsräumen zusammenfinden sollen.
Bereits realisiert ist die Einrichtung eines neuen Postdoc Centers. „Das Center hilft, sich zu vernetzen und berufliche Möglichkeiten auch in außeruniversitären Einrichtungen am Standort frühzeitig aufzuzeigen.“ Zusätzlich heißt der Standort über ein hier angedocktes Fellowship-Programm gemeinsam mit WINS Adlershof (Women in Natural Sciences) internationale Forscherinnen in Adlershof willkommen: Für jeweils ein bis zwei Monate können sie die hiesige Wissenschaftslandschaft kennenlernen.
Auch die Gleichstellung von Frauen in den MINT-Fächern ist Tischendorf ein wichtiges Anliegen. Bis Ende 2022 hatte sie den Vorsitz der Kommission für Frauenförderung inne, in der sie weiterhin aktiv ist. „Ich bin ziemlich glücklich, dass wir es in den vergangenen Jahren beispielsweise in der Mathematik geschafft haben, den Professorinnenanteil auf 25 Prozent zu steigern und damit deutschlandweit im Spitzenfeld zu liegen.“
In den kommenden Jahren will Caren Tischendorf unter anderem Forschungsideen für neue Anwendungsbereiche verfolgen. Mit ihren Berechnungen möchte sie so etwa dazu beitragen, die Funktionsweise von Proteinen in menschlichen Zellen besser zu verstehen und steuern zu können.
Nora Lessing für Adlershof Journal