CHIC - gemachtes Machine Learning
Die drei Start-ups KIProtect, MAASU und Amphiprion gehen mit ihren Machine Learning Anwendungen auf Erfolgskurs
Was die Vielfalt der Anwendungen betrifft, scheint es für Maschinelles Lernen (ML) keine Grenzen zu geben. Ein Besuch im Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) bestätigt die These. Mit KIProtect, MAASU und Amphiprion treiben dort drei junge GmbHs komplett verschiedene Geschäftsideen voran, in denen ML als Mittel zum Zweck dient. Alle drei haben hochqualifizierte Gründerinnen und Gründer – und befinden sich bereits auf Wachstumskurs.
Lenka Ivantysynova, Andreas Dewes und Samir Kadunic sind hochqualifiziert, tragen Doktortitel und haben noch etwas gemein: Sie können sich kein Leben als Angestellte mehr vorstellen. Als Gründerinnen und Gründer der Start-ups Amphiprion, KIProtect und MAASU tragen sie Verantwortung für wachsende Teams und steigende Budgets, für die Produktentwicklung, Auftragsakquise, für Kundenkontakte und das ganze bürokratische Drumherum. Doch auf der anderen Seite steht Freiheit. Sie können den Alltag und das Miteinander in ihren Unternehmen selbst gestalten und etwas Eigenes aufbauen. Dafür nehmen sie die Mehrarbeit in Kauf.
Von Ladeinfrastruktur zu Entwicklung von Embedded Software
Samir Kadunic hatte schon Karriere in der Industrie gemacht, ehe er MAASU gründete. Der promovierte Maschinenbauer hat auch Volkswirtschaftslehre studiert. Nach anfänglichen Zweifeln startete er in den beiden Fächern durch, bekam ein Bosch-Stipendium und später das Angebot seines Professors, bei ihm als wissenschaftlicher Assistent zu promovieren. Es folgten eine erste Industriestation im Vertrieb von Porsche Engineering und eine Karriere bei der Porsche AG, wo er international für den Aufbau von Schnelllade-Infrastruktur für Elektrofahrzeuge verantwortlich war. „Es ging um Märkte wie Singapur, Malaysia, Korea, Australien, Brasilien oder Nahost, wo es keine staatliche Förderung gab“, berichtet er. Stattdessen machte Porsche seiner Kundschaft das elektrische Fahren durch Schnellladesäulen an bevorzugten Destinationen schmackhaft. Dabei kam Kadunic auf eine Gründungsidee: „Schnellladesäulen sind nur sinnvoll, wenn es möglich ist, ihre Verfügbarkeit schon auf dem Weg dorthin zu checken“, sagt er. Um ein solches auf Maschine Learning basiertes Prognose-Tool zu entwickeln, ging er im März 2020 zunächst in Teilzeit.
Es war der Start von MAASU. Trotz Corona. Und trotz seiner eingeschlagenen Industriekarriere. „Mir war klar, dass es im Konzern nur langsam aufwärts geht und entsprechende Netzwerke braucht“, sagt er. Als Gründer sah er bessere Perspektiven. Zumal er die Idee hatte, Unterstützung im Herkunftsland seiner Eltern zu suchen. „In Bosnien gibt es hervorragende Softwareentwicklerinnen und -entwickler, aber wenig Arbeit“, erklärt er. Schnell war ein schlagkräftiges Team in Sarajevo gefunden.
Doch die Entwicklung und Markteinführung war langwieriger als gedacht. Trotz eines gut funktionierenden Prototyps kam das Projekt ins Stocken. Einnahmen mussten her, um das heute fast 30-köpfige Team beschäftigen und bezahlen zu können. „Hier wurde mein Netzwerk in der Branche entscheidend“, erklärt der Gründer. MAASU übernimmt seit 2022 Entwicklungsdienstleistungen für namhafte Automobilzulieferer, entwickelt Embedded Software für Steuergeräte und wirkt beim Validieren, Verifizieren und Integrieren von Seriensoftware mit. Remote-Zugriff auf Hardware-in-the-Loop-(HiL)-Prüfstände und eine eigene Software-in-the-Loop-(SiL)-Infrastruktur sowie Server mit marktüblichen Tool-Ketten machen es möglich. „Unser Team in Sarajevo lernt die Sprache und die Arbeitsweise der deutschen Kundschaft, damit es in den Projekten rund läuft“, berichtet er. Sie haben Erfolg. Fast zu viel; denn trotz aller Unterstützung fehlt die Zeit, das ML-Prognosetool für Ladesäulen weiterzuentwickeln. Das auch, weil Kadunic zwischen Sarajevo und dem CHIC pendelt, wo er sich mit einem kleinen Team um den Vertrieb, das Marketing und die Kundenpflege kümmert. Trotz der Arbeitsbelastung hat er den Schritt in die Selbständigkeit nie bereut.
Schutz für Sicherheitsbereiche und sensitive Datenräume
Gleiches gilt für Lenka Ivantysynova. Die Gründerin der Amphiprion GmbH ist mit Leib und Seele Unternehmerin. Es ist nicht ihre erste Gründung. Ein Nine-to-Five-Job in der Industrie reize sie nicht, sagt sie ohne Herablassung. Denn für viele Menschen sei ein Job mit geregelten Abläufen genau richtig. Für sie nicht. „Ich mag Herausforderungen und ich betrete gerne Neuland“, erklärt sie. Ivantysynova hat es lieber zu schwer als zu routiniert, denn ihr werde schnell langweilig. Die Gestaltungsfreiheit als Gründerin, der Aufbau ihres Teams, die Entwicklung des komplexen Produktes bringen die nötige Abwechslung. Dass sie dafür mehr Risiko und Verantwortung trägt, ist ihr recht. Zumal Amphiprion an etwas Großem arbeitet: Das Start-up treibt im CHIC die Entwicklung einer unüberwindbaren Zugangskontrolltechnik für Hochsicherheitsbereiche voran. Der Schlüssel dazu sind Mikrobewegungen der Augen. Diese folgen bei jedem Menschen individuellen, unbewussten Mustern – die nicht bewusst steuerbar sind. Das System wertet diese mithilfe von Machine-Learning-Methoden aus. Um Zugang zu erhalten, muss der Mensch bei Bewusstsein sein und mit den eigenen, dem System bekannten Augen in eine Kamera schauen. Stimmt der Abgleich mit den hinterlegten individuellen Mikrobewegungsmustern überein, öffnen sich die verschlossenen Tore.
Preisgekrönt – aber noch auf dem Weg zur Serienreife
„Wir waren zuletzt auf diversen Messen und haben sehr positives Feedback bekommen“, berichtet Ivantysynova. Natürlich gebe es in Sicherheitskreisen eine gesunde Skepsis, ob die Technik wirklich funktioniert und robust genug sein wird. Die Zweifel sind der Gründerin willkommen, denn sie bleibt gern bei den Tatsachen. Serienreif ist ihr Zugangskontrollsystem noch nicht. Es gibt einen funktionierenden Prototypen und wissenschaftliche Belege dafür, dass die Mikrobewegungen wirklich bei jedem Menschen unterschiedlich sind. „Wir arbeiten mit mittlerweile acht Leuten an der Weiterentwicklung und trainieren die Algorithmen mit Daten, die wir in unserem Datenaufnahme-Labor im CHIC von Probanden erheben“, berichtet sie. Sie sammeln Erfahrungen, um einen Prozess inklusive Hard- und Software aufzusetzen, mit dem Zulieferer weltweit Probandendaten generieren sollen. Robuste, zuverlässige Zugangskontrollen setzen voraus, dass ihr System mit der menschlichen Vielfalt klarkommt.
Der eingeschlagene Weg findet Anerkennung. Jüngst erhielt Amphiprion den mit 32.000 Euro dotierten Gründungspreis+ im Gründungswettbewerb Digitale Innovationen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Das Geld fließt in die aufwendige Entwicklungsarbeit. Fast noch mehr schätzt Ivantysynova die praktische Unterstützung, den Austausch mit Expertinnen und Experten und die Aufmerksamkeit, die ihrem Start-up seither zuteilwird. Sie ist zuversichtlich, auch diesmal ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen zu können. Wohlwissend, dass es kein Selbstläufer ist. „Neues Unternehmen, neues Risiko“, lacht sie – und ja – sie liebe Herausforderungen!
Machine Learning für mehr Datensicherheit und Datenschutz
Etwas Eigenes aufbauen, mit einem selbst gewählten Team kreative Wege gehen. Das liegt auch Andreas Dewes am Herzen. Ehe er 2019 die KIProtect GmbH gründete, hat er Quantenphysik in Tübingen und Paris studiert und mit Magna cum laude promoviert. KIProtect ist sein drittes Gründungsprojekt seit seinem Berufsstart im Jahr 2013. „Wir bauen spezifische Machine-Learning-Modelle für unsere Kundschaft aus dem Finanz- und Versicherungswesen und bieten außerdem Analysen, Zuverlässigkeitstests und fachliche Beratungen rund um ML-Anwendungen an“, erklärt er. Ein Fokus liegt dabei auf dem Schutz von personenbezogenen Daten.
Wenn Versicherer und andere Unternehmen mit vielen personenbezogenen Daten ML-Methoden nutzen möchten, müssen sie die Algorithmen an vielen, möglichst realitätsnahen Datensätzen trainieren. Natürlich gelten auch hier die Datenschutzgesetze. KIProtect hilft, sie einzuhalten. Unter anderem bietet das Start-up eine Softwarelösung an, die im laufenden Datenverarbeitungsprozess personenbezogene Daten erkennt und sie pseudonymisiert oder anonymisiert. „Wir haben diese Lösungen zusammen mit großen Pilotkunden zur Marktreife gebracht und vermarkten sie nun recht erfolgreich“, berichtet Dewes. Aus der Software hat sein mittlerweile auf fünf Köpfe gewachsenes Team ein weiteres Produkt abgeleitet, das sich an Unternehmen aller Größenordnungen wendet. Es handelt sich um ein Software-Framework, das in Webanwendungen den Schutz und die Sicherheit der Anwenderdaten gewährleitet.
Erste Industrieprojekte
Bisher hat Dewes mit seinem Start-up vor allem die Versicherungswirtschaft adressiert. Im abgelaufenen Jahr haben sie erste große Verträge geschlossen. „Unsere Lösung ist komplex und erklärungsbedürftig“, erklärt er. Deshalb geht es nicht nur um die reine Lizenzvergabe, sondern auch um ein IT-Consulting. Denn die Technik, die Einbindung in die bestehenden Prozesse und rechtliche Fragen bis hin zur Abstimmung mit Betriebsräten sind bei der Integration der Lösung zu klären und erklären. Nebenher streckt KIProtect die Fühler in neue Märkte aus. Unter anderem waren sie an einem BMWK-Förderprojekt beteiligt, in dem es mit Blick auf das neue Lieferkettengesetz darum ging, Daten aus Industrieprozessen zu pseudonymisieren. Ein interessanter Wachstumsmarkt: Wann immer Unternehmen Endkunden Services in der Cloud anbieten, muss der Schutz personenbezogener Daten gewährleisten sein. Ihre automatische Erkennung und Transformation in anonymisierte oder pseudonymisierte Daten kommen gerade recht. Die Verknüpfung von Statistik zur Anonymisierung der Daten, von Kryptographie für deren Verschlüsselung sowie Machine Learning zum Aufspüren relevanter Personendaten in unstrukturierten Datensätzen und Textdateien stößt auf stark steigende Nachfrage.
Die frühe Gründungsphase war von Corona geprägt. Dewes und sein Team haben die Zeit genutzt, um den Proof-of-Concept ihrer Lösung zu erbringen und die Software mit den Pilotkunden zur Reife zu bringen. Für den Gründer beginnt nun die Wachstumsphase. Er freut sich auf die Herausforderung. „Es war schon immer so, dass ich eher unternehmerisch gedacht habe und mich in vorgegebenen Strukturen nicht wirklich wohl fühle“, erklärt er. Ihn reizt der Prozess, wenn sich aus einer Idee nach und nach ein Unternehmen mit einem schlagkräftigen Team formt. KIProtect möchte nun auch personell wachsen und neue Märkte angehen. Dies unter anderem in einer Partnerschaft mit dem CHIC-Nachbarn Civitalis, die IT-Prozesse für Verwaltungen entwickelt und implementiert. Für das Team um Dewes ein interessantes Feld: Denn auch für Verwaltungen ist der Schutz personenbezogener Daten eine tägliche Aufgabe. Wenn es den Start-ups gelingen würde, den Ämtern obendrein ein Promille ihres unternehmerischen Spirits einzuhauchen, könnte Maschine Learning in diesem Fall ein echter Türöffner werden.
Kontakt:
KIProtect GmbH
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info(at)kiprotect.com
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Maasu GmbH
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info(at)maasu.de
https://www.maasu.de
Amphiprion GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
info(at)amphiprion.com
https://amphiprion.com