CHIC-Teams für bessere Produktionsprozesse
Die Start-ups additiveStream4D, Brinkmann Electronic Berlin und PTX tech sorgen für mehr Effizienz und Sicherheit in der additiven Fertigung und in vollautomatisierten Produktionsprozessen
Am Anfang vieler Innovationen steht ein Gedanke: „Das geht auch besser“. Die junge additiveStream4D GmbH hat sich der Optimierung additiver Fertigungs- und Reparaturprozesse angenommen und treibt diese mit mittlerweile patentgeschützten Ideen systematisch voran. Das Team arbeitet ebenso im Charlottenburger Innovations-Centrum CHIC wie die Start-ups PTX tech und Brinkmann Electronic Berlin. Sie tragen mit ihren Ideen auf ganz unterschiedliche Weise zu mehr Sicherheit und höherer Effizienz in einer automatisierten Produktionswelt bei. Den drei Teams ist gelungen, wovon viele junge Unternehmen träumen: Sie haben Nischen gefunden – und erfolgreich besetzt.
Warum ganze Bauteile im langsamen, teuren selektiven Laserschmelzprozess fertigen, wo der schichtweise Materialaufbau aus Metallpulvern seine Vorteile doch nur in kleinen funktionalen Arealen ausspielt? – Auf diese grundsätzliche Frage findet die im Juli 2022 gegründete additiveStream4D GmbH innovative Antworten. Die Seed-Phase mit Stipendien und EXIST-Förderung hat das auf fünf Köpfe gewachsene Team hinter sich. Ein erster Großkunde aus den USA ist gewonnen. Weiteres personelles Wachstum ist geplant. „Es geht schneller als gedacht“, freut sich Mitgründer Simon Feicks.
Feicks und sein Mitgründer Clemens Miaskowski haben sich in der Luft- und Raumfahrtindustrie, im Maschinenbau und am Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT in Aachen früh mit Additive Manufacturing (AM) befasst. AM-Verfahren bieten einerseits volle Designfreiheit und ermöglichen es, bisher fertigungstechnisch Unmögliches umzusetzen – im Bauteil verlaufende Kanäle, variierende Wandstärken oder Überhänge, Hohlräume oder Gitter- und Wabenstrukturen. Andererseits sind sie langsam. Denn es dauert, per Laser in vielen Tausend Schichten aus dem mikrometerfeinen – zudem kostspieligen – Metallpulvern Bauteile entstehen zu lassen. Produktivitätszuwächse durch den Einsatz mehrerer Laser oder besser qualitätsüberwachte Prozesse sind begrenzt und schwierig umsetzbar. Daher geht das Team neue Wege: „Wir haben eine mit jeder AM-Anlage im Markt kompatible Retrofit-Lösung entwickelt, die nicht in deren Laserprozesse und Scanner-Optiken eingreift“, berichtet Feicks.
Hybrid-AM: Funktionen von Dreh- und Fräsbauteilen additiv erweitern
Anstelle marktüblicher Bodenplatten, auf denen AM-Teile aufgebaut werden, bieten sie eine hochpräzise Einspannvorrichtung an, in welcher gefräste oder gedrehte Teile fixiert werden. Diese dienen direkt als Sockel für den selektiven Laserschweißprozess im Pulverbett, um komplexe Funktionsbereiche darauf aufzuschmelzen. Diese Verbindung aus günstiger konventioneller Technik und AM hat den zusätzlichen Vorteil, dass Fehler im Prozess oder beim Entpacken nicht mehr stundenlange Bauzeiten zunichtemachen.
Was verblüffend einfach klingt, ist tatsächlich hochkomplex. Denn um in der geforderten Präzision auf bestehenden Bauteilen aufbauen zu können oder – und das ist ein weiterer Ansatz des CHIC-Teams – Verschleißteile wie etwa Turbinenschaufeln im Pulverbett reparieren zu können, ist beim Einspannen mikrometergenaue Maßarbeit gefragt. Ein selbst entwickeltes und mittlerweile patentiertes Messsystem ermittelt die exakte Position der Bauteile und richtet den oder die Laser der AM-Anlage darauf aus. „Wir gehen hierfür nicht in die Lasersteuerung hinein, sondern modulieren Inputdaten“, erklärt Feicks. Das ist für hoch regulierte Branchen wie die Luft- und Raumfahrt wichtig, weil sonst der ganze Prozess neu zertifiziert werden müsste.
Minimalinvasiv – aber mit enormen Einfluss auf die Kosten
Das Start-up kooperiert mit Zeiss und deren Braunschweiger Tochter GOM. Mit deren Expertise in der automatisierten 3D-Koordinatenmesstechnik ist es additiveStream4D gelungen, die komplexe Reparatur von Turbinenschaufeln weitestgehend zu automatisieren – ebenfalls im Pulverbettprozess. Nicht nur werden die Dutzenden eingespannten Schaufeln automatisch erkannt und ihre exakte Lage analysiert, sondern das optische System der Berliner ermittelt auch den tatsächlichen Reparaturbedarf jeder einzelnen Turbinenschaufel. Die automatisierte Inspektion dient als Basis der ebenfalls automatisch generierten Reparaturstrategie. „Wenn 100 Blades eingespannt sind, kann unsere Lösung präzise jene Exemplare erkennen, bei denen eine Reparatur nicht mehr lohnt, welche am Limit sind und wie viele Zyklen sie noch überstehen“, erklärt er. Es gehe darum, die einmal erhobenen Daten optimal und möglichst mehrfach zu nutzen, beispielsweise um virtuelle Reparaturen zu simulieren und daraus für die jeweiligen Kunden deren Kostenvorteile einer optimierten Instandhaltungs-Strategie mit dem Hybrid-AM-Ansatz abzuleiten. Daten streamen, die Vorteile additiv heben und dabei räumliche und zeitliche Dimensionen fusionieren: Hier hat der Name additiveStream4D seinen Ursprung. Und da es bei Alledem um Produktivitäts- und Kostenvorteile geht, nennt Feicks konkrete Zahlen. Statt 150 Turbinenschaufeln mit bisherigen Laserauftragsschweißverfahren schafft ihre Lösung rund 400 Blades in acht Stunden. Eine neue Schaufel kostet gut 1600 US-Dollar, während die Reparaturkosten im Hybrid-AM-Verfahren kaum ein Viertel davon betragen. „Größere Fluggesellschaften müssen allein für ihre Hilfsturbinen über 25.000-mal im Jahr entscheiden, ob sie Blades gegen neue austauschen oder reparieren“, berichtet er. Die Zahlen verraten viel über das Kostenpotenzial, das die Gründer mit ihrer mehrfach preisgekrönten smarten, auf intelligenter Datennutzung basierten AM-Prozesskette im Blick haben. Sie optimieren ihre Messtechnik und ihre Software weiter, um ihrer Kundschaft die Prozessoptimierung zu ermöglichen.
Automatisierung – aber sicher
Darum geht es auch bei zwei weiteren Teams im CHIC. Das 10-köpfige Team der jungen Brinkmann Electronic Berlin GmbH bringt jede Menge Erfahrung auf dem Gebiet der Fabrik- und Prozessautomatisierung mit. „Wir sind als Ausgründung aus einem Berliner Industrieunternehmen gestartet“, berichtet Gründer Peter Brinkmann. Das Team aus eingespielten Profis war für die Automation und Elektronikentwicklung verantwortlich. Als es unter einem neuen chinesischen Eigentümer bergab ging, gründete Entwicklungsleiter Brinkmann aus, um das Know-how zusammenzuhalten. Jetzt im fünften Jahr ist die Basis gelegt. Das Start-up BEL hat einen festen Kundenstamm, für den es funktional sichere IIoT-Lösungen entwickelt. Das Kürzel IIoT steht für das industrielle Internet der Dinge. Es geht um digital vernetzte, vollautomatisierte Produktionsprozesse.
„Wir entwickeln und lizensieren Soft- und Hardwaresysteme, mit denen sich automatisierte Bewegungen von Robotern und Maschinen sicher umsetzen lassen“, erklärt Brinkmann. Das reicht von der sensorischen Überwachung über die Analyse der Sensordaten bis zur daraus abgeleiteten Steuerung der Bewegungen. Zur Kundschaft zählen Elektronikhersteller und Akteure aus der Antriebs- und Automatisierungstechnik. „Safe müssen die Lösungen sein, um Menschen vor Maschinen zu schützen. Security dagegen schützt Maschinen vor Menschen“, sagt er. Beides sei in einer zunehmend vernetzten Fertigung unerlässlich, damit Menschen und Maschinen ohne die Gefahr von Unfällen zusammenarbeiten können. Etwa, indem die Geschwindigkeit von Robotern oder Automaten gedrosselt oder auf null gesetzt wird, sobald sich ein Mensch ihrem Bewegungsradius nähert.
Beratung und Technik aus einer Hand
Um diesen beiderseitigen Schutz auf breiter Front durchzusetzen, gibt es eine Fülle an Regularien. Das Team um Brinkmann hat die gesetzlichen Vorgaben und deren ständige Neuerungen und Anpassungen im Blick. „Dieses Wissen geben wir beratend an unsere Kundschaft weiter, um gemeinsam mit ihnen regelkonforme, sichere Automatisierungslösungen entwickeln zu können“, sagt er. Er sieht sein Team als Enabler, die es Unternehmen aus der Antriebs- und Automatisierungsbranche ermöglichen, die hohen gesetzlichen Hürden bei der Safety-Entwicklung zu überspringen. Diesen „simply safe“-Ansatz verbindet das junge Unternehmen mit IT-Security-by-Design. In der Industrie-4.0 sind Maschinen in wachsende Datenräume eingebunden, die wie jedes Gebäude Schutz vor Einbrüchen und unbefugtem Zutritt brauchen. Architekturen mit klug gesetzten Authentifizierungsaufforderungen und Firewalls bieten diesen Schutz. Brinkmanns erfahrenes Team hat auch diesen Aspekt der Sicherheit im Blick.
Lichtschranke allein genügt nicht immer
Auch Ferdinand Wiegelmann, Mitgründer der PTX tech GmbH, befasst sich mit der Sicherheit von Robotern und autonom navigierenden Fahrzeugen. Er denkt eine Stufe weiter. „Ein zweidimensionales Lichtgitter bietet im Fall der Fälle nur bedingt Schutz. Denn ist es einmal durchbrochen, ist unklar, wo genau sich das störende Objekt befindet und ob es sich dabei überhaupt um einen Menschen handelt“, erklärt er. Daher entwickelt das Unternehmen smarte Überwachungslösungen, die räumliche Informationen erfassen und verarbeiten können. Vieles von dem, was er berichtet, ist aus der Entwicklung autonomer Fahrzeuge bekannt: Time-of-Flight-Sensorik, welche Signale aussendet und anhand der Flugzeit reflektierter Signale ermittelt, wie weit die reflektierenden Objekte entfernt sind. Oder hyperspektrale Sensorik, die erkennt, was für Menschen im sichtbaren Wellenlängenbereich verborgen bleibt. Auch Radar-Imaging, LiDAR-Sensorik und Sensorfusion, die aus Daten unterschiedlichster Sensoren ein valides Gesamtbild des Bewegungsraums von Robotern oder Automaten generiert, treiben das Team von PTX um. Auch für sie geht es um Mehrfachnutzung der Daten, denen es so viel Information wie irgend möglich zu entlocken gilt. Denn wenn Roboter und Menschen Hand in Hand arbeiten, kann jede Information potenziell lebensrettend sein.
PTX tech sucht mit elf Beschäftigen – das Gros Elektrotechnik-Ingenieure mit Abschlüssen der TU Berlin und der RWTH Aachen sowie Nachwuchskräfte mit Schwerpunkt Künstliche Intelligenz (KI) – Lösungen für die sichere Mensch-Maschine-Kollaboration. Das Team hat schon 2016 den Deep Tech Award gewonnen, gibt sich aber laut Wiegelmann nie mit dem Erreichten zufrieden. „Wir bleiben agil und beweglich, um schnell auf Kundenfeedback reagieren und neue Ansätze in der Maschine-Vision aufgreifen zu können“, erklärt er. Als kleines Unternehmen habe PTX zwar nicht die Ressourcen, um alle Lösungen durch sämtliche Zertifizierungen und Regularien zu navigieren. Doch dafür sei sein Team einfallsreich und offen für Innovationen. Gerade in Feldern wie der Verbindung von KI und Maschine Vision, Radar-Imaging oder in der Sensorik für mobile Roboter seien Innovations- und Kooperationspartner willkommen.
Kontakt:
additiveStream4D GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
team(at)additivestream.com
https://additivestream.com
Brinkmann Electronic Berlin GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
info(at)bel.berlin
https://www.bel.berlin
PTX tech GmbH
Bismarckstraße 10-12
10625 Berlin
ptx(at)ptx-tech.de
https://www.ptx-tech.de
Von Peter Trechow für CHIC!