Der Meteorit vom Havelland – ein Glücksfall
Planetenforscher Jörn Helbert hat den sehr seltenen Fund im DLR-Labor untersucht
Sonntag, 21. Januar 2024. Kurz nach halb zwei. Die Nacht ist klar, als plötzlich ein Feuerstreif den Himmel über Brandenburg erhellt. Ein Brocken aus dem All, gut einen halben Meter groß und etwa 140 Kilo schwer, bahnt sich seinen Weg durch unsere Atmosphäre. Die Reibung heizt ihn auf, bringt ihn zum Glühen und verdampft ein gutes Stück davon. Der Rest zerbirst und geht in vielen kleinen Stücken über den Äckern und Weiden des Havellandes nieder.
Derartige Einschläge gibt es täglich. Geschätzte 16.000 Tonnen in jedem Jahr. Das meiste davon rieselt als winziger Staub sanft auf uns hernieder. Zu leicht, um sich an den Luftmolekülen zu reiben. Größere Partikel hingegen verglühen vollständig in der Atmosphäre. Sie hinterlassen nichts als eine Leuchtspur. Die kennen wir als Sternschnuppe. Den Boden zu erreichen, das schaffen nur die großen Brocken. Das sind wenige hundert im Jahr, bekannt als Meteoriten. So auch jene im Havelland. Dass der etwas ganz Besonderes ist, konnte in der sternenklaren Januarnacht noch niemand ahnen.
Von alldem, was da bei Berlin geschah, wusste Jörn Helbert nichts, als er im fernen Spanien um sechs Uhr in der Früh erwachte. Der Leiter der Planetaren Labore am Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Adlershof war gerade für ein Forschungsprojekt unterwegs. „Ich schaute auf mein Telefon und sah die Nachricht“, erinnert er sich. „Sofort habe ich mich mit den Kolleg:innen in Berlin verständigt, um die Suche der Bruchstücke zu koordinieren.“ Denn für die Forschung war das Ereignis in vielfacher Hinsicht spannend.
Es war ein Fall mit Ansage. Punkt Mitternacht entdeckte ein ungarischer Amateurastronom das Objekt auf Kollisionskurs mit der Erde. Das gab es vorher nur sieben Mal. „Für uns war das ein Glücksfall“, erzählt Helbert. „So konnten wir die Flugbahn berechnen und das Streugebiet eingrenzen.“ Das ist jene Fläche, auf der die Bruchstücke des Körpers aufschlagen. Die war in diesem Fall „nur“ einige Quadratkilometer groß. Schon wenige Stunden nach dem Fall standen die ersten Forscherinnen und Forscher des DLR und des Museums für Naturkunde Berlin bereit. Unterstützung bekamen sie von freiwilligen Helfer:innen. Das erste Stück fanden aber andere. Eine Gruppe polnischer Meteoritenhändler war ebenfalls zur Stelle, um die begehrten Stücke zu bergen.
Helbert erinnert sich: „Wir gingen davon aus, dass es eine recht häufige Art von Meteorit sein würde. Ein kohliger Chondrit.“ Die Suchenden hielten also Ausschau nach kleinen, schwarzen, verkohlt aussehenden Steinen. Die Überraschung war entsprechend groß, als einer der Meteoritenhändler einen verdächtig aussehenden, hellgrauen Stein fand. Ein Aubrit. „Die finden wir sehr selten“, erklärt der Weltraumforscher. „Nur eine Handvoll davon konnte bei ihrem Fall beobachtet werden.“ Nach zwei Wochen lagen 25 Stücke in den Sammlungen des DLR und des Naturkundemuseums. Insgesamt rund 160 Gramm. Um dem Meteoriten nun einen Namen geben zu dürfen, musste er klassifiziert werden – eine gemeinsame Aufgabe von Helbert und den Teams vom DLR und Naturkundemuseum. Ihr Namensvorschlag: „Ribbeck“, nach jenem Gut, in dessen Nähe die Trümmer gefunden wurden.
„Danach haben wir begonnen, die Bruchstücke mit einem großen Konsortium verschiedener Forschungsinstitute zu untersuchen“, erzählt Helbert. Er selbst hat ein ganz besonderes Interesse an dem Meteoriten. „Das Material ähnelt frappierend dem Gestein, das wir auf der Oberfläche des Planeten Merkur vermuten.“ Eben zu diesem Planeten ist gerade die Raumsonde BepiColombo unterwegs, deren Spektrometer Helbert leitet. „Ribbeck hat uns ein Analogmaterial geliefert, mit dem wir bereits auf der Erde Messungen vornehmen können“, erklärt er. „Wenn die Sonde dann im kommenden Jahr die Daten vom Merkur sendet, können wir Vergleiche anstellen.“
Auch aus einem weiteren Grund freut er sich über den seltenen Fund. „Das DLR baut gerade ein neues Analyselabor für Proben, die aus dem All kommen“, sagt er. „Nicht nur von Raumfahrtmissionen. Mit dem Meteoritenmaterial wurde uns bereits die erste Probe frei Haus geschickt.“
Kai Dürfeld für Adlershof Journal
DLR-Institut für Planetenforschung (astronomie-in-deutschland.de)