Die Zukunft im Blick
Die Geschäftsstelle Zukunftsorte will Berlins Forschungs- und Entwicklungsstandorte enger miteinander vernetzen und Freiraum für Innovation schaffen
„Die Zukunft kann man am besten voraussagen, wenn man sie selbst gestaltet.“ Alan Kay gilt als Erfinder des Ausdrucks „Personal Computer“ und gehört zu jenen Informatiker:innen, die die zukünftige praktische Nutzung ihrer Forschungserkenntnisse stets mitdachten. Von ihm stammt dieses Bonmot. Auch Berlin ist angetreten, seine Zukunft selbst zu gestalten. Helfen sollen dabei unter anderem elf Zukunftsorte, an denen aus Wissenschaft neue Produkte, Anwendungen und Technologien werden sollen. Klammer dieser Orte ist die Geschäftsstelle Zukunftsorte. Sie ist Multiplikatorin nach innen, Interessenvertreterin nach außen, Markenentwicklerin, Anlaufpunkt und Kommunikatorin auf den regionalen, nationalen wie internationalen Märkten.
Berlin, das war einmal eine Industriestadt. Als „Elektropolis“ im 19. und 20. Jahrhundert weltberühmt. Mit „elektrischen“ Global Playern wie Siemens oder der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft, der AEG, Treiber des Fortschritts und der Elektrifizierung. „Geblieben war davon nach Krieg, Kaltem Krieg, Teilung und Insellage am Ende der 1980er nicht viel“, erzählt Steffen Terberl, Leiter der Geschäftsstelle Zukunftsorte. Und ergänzt: „Außer der Wissenschaft, die war noch da.“ Um sie herum wurden in den letzten 30 Jahren Technologieparks konzipiert, Universitäten integriert, Infrastruktur modernisiert und ganze Stadtteile gebaut. Nun sollen diese Orte helfen, Berlin zu reindustrialisieren, sollen die Zukunft der Stadt entscheidend mitgestalten.
Zukunftsorte gibt es in Berlin vom Technologiepark Adlershof im Südosten über den EUREF Campus und den Campus Charlottenburg bis zur Urban Tech Republic im Nordwesten. Leuchtturmfunktion für das gesamte Stadtgebiet sollen sie übernehmen. Doch: Berlins Forschungs- und Entwicklungsstandorte müssten noch enger miteinander kooperieren, befand der Senat und beschloss in seiner Koalitionsvereinbarung in bestem Amtsdeutsch die Schaffung eines „intraregionalen Regionalmanagements“.
Für Terberl und seine Kolleginnen Noémi Dombi und Katia Ernst in der Geschäftsstelle gilt, was auch für jeden einzelnen Zukunftsort Richtschnur ist: „Definieren, profilieren, vernetzen, vermarkten. Wir müssen sichtbar machen, was an diesen Orten passiert.“ Therapien fürs Vorhofflimmern, Sicherheitsgurte für Gelenke, Zählsensoren zur Optimierung des öffentlichen Verkehrs in Bussen und Bahnen: Was in den Berliner Zukunftsorten entsteht, will Terberl zunächst erst einmal auch den Berliner:innen nahebringen. „Awareness vor der eigenen Haustür schaffen“, nennt er das. Und wer sich heute durch die Stadt bewegt, der sieht immer wieder Zukunftsorte-Plakate. Wie können wir die Welt vom Plastikmüll befreien? Die Artenvielfalt erhalten? Oder Krankheiten wie Krebs besiegen? „Wir machen Kampagnen, die komplexe Themen in einfache Botschaften verpacken“, sagt Terberl. 146 City-Light-Säulen und 237 Public-Video-Stations zeigen, wie Wissenschaft und Forschung gemeinsam an einer besseren Zukunft arbeiten. „Über Themen in den Dialog kommen“, will Steffen Terberl. Wissenschaft kommunizieren, Initiativen bilden, Veranstaltungen machen – wie den Klimatag etwa. „Natürlich sind die Standorte nicht homogen, aber es gibt viele Schnittmengen.“
Viele hätten trotz ihrer unterschiedlichen Ausrichtungen auch ähnliche Herausforderungen zu bewältigen – von der Regulatorik über den Denkmalschutz, den Wissens- und Technologietransfer bis hin zur Werbung um die besten Talente. „Da muss es Erfahrungsaustausch geben, müssen die richtigen Leute an einen Tisch gebracht, Medieninteresse aufgebaut werden“, erklärt der studierte Geograf. In den Zukunftsorten säßen Vorreiter:innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Technologie. „Den ständigen Kampf mit diesen Herausforderungen können wir uns als Gesellschaft nicht mehr leisten. Da wünschte ich mir mehr Pragmatik, Schnelligkeit und größere Offenheit, wenn es zum Beispiel darum geht, nachhaltig zu bauen, Patente zu verwerten oder die besten Köpfe aus dem Ausland nach Berlin zu holen. Innovation braucht Freiraum“, argumentiert Terberl.
Terberl arbeitet seit langem an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft, zuletzt als Leiter von Profund Innovation, einer Einrichtung, die an der Freien Universität Berlin Unternehmensgründungen durch Studierende, Wissenschaftler:innen oder Alumni unterstützt. Seit April 2022 leitet er die Geschäftsstelle der Zukunftsorte. „Es passiert einiges“, erklärt er, „hier entsteht ein kreatives innovatives Ökosystem. Das zu begleiten, reizt mich.“
Rico Bigelmann für POTENZIAL