Ein Platz für Kreative und Praktiker
Quelle: Handelsblatt vom 18.02.2004
Als Daniel Brühl in "Good bye, Lenin!" für seine Mutter ein Zimmer im DDR-Stil einrichtete, standen die Kulissen in Berlin-Adlershof im Studio Berlin. Und wenn im April Helge Schneider in der Show "Die Hit Giganten" auf Sat 1 singt, dann kommt die Sendung ebenfalls aus dem Süden Berlins. Schon in den Zwanzigern entstanden hier Filme, und zu DDR-Zeiten sendete das Staatsfernsehen aus Adlershof den Sandmann oder den Schwarzen Kanal.
Die DDR gibt es nicht mehr, aber anders als an den meisten anderen Standorten Ostdeutschlands arbeiten hier wieder so viele Menschen wie vor der Wende. Ein Teil davon ist in Medienfirmen wie Studio Berlin beschäftigt, die meisten arbeiten jedoch in High-Tech-Unternehmen und Forschungsinstituten. Die Nähe der Wissenschaft zur Wirtschaft ist Absicht: Aus Innovationen sollen möglichst schnell Produkte werden. "In Berlin muss neue Industrie entstehen. Das funktioniert am besten um die Wissenschaft herum", sagt Peter Strunk von Wista Management GmbH, die Firma, die den Standort Adlershof verwaltet. Nach der Wende gab es in Berlin kaum noch produktive Wirtschaft. Deshalb war es wichtig, den Neuaufbau von der Basis her zu stimulieren. Das Erfolgsrezept sind "kurze Wege zwischen Forschung und Anwendung".
Ein Unternehmen, das von diesen kurzen Wegen besonders profitiert, ist die Sulfurcell Solartechnik GmbH. Hier werden seit Dezember Sonnenkollektoren mit hohem Wirkungsgrad besonders preiswert hergestellt. Die Technik dafür kommt aus dem Hahn-Meitner-Institut am Standort Adlershof. Dabei ist das Institut nur eine Forschungsstätte unter vielen: Die Natur- und Ingenieurwissenschaften der Humboldt-Universität sind mit Ausnahme der Biologie inzwischen von Berlin-Mitte nach Adlershof umgezogen. Aus den Forschungseinrichtungen entstehen auch direkt neue Unternehmen. Die Astro- und Feinwerktechnik ist eine Ausgründung aus den Instituten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Die Firma ist typisch für Adlershof: klein aber hochspezialisiert. Sie liefert Bauteile für Satelliten, zum Beispiel Kameras oder Schwungräder.
Große Unternehmen gibt es in Adlershof kaum. Für die 650 kleinen Firmen ist es um so wichtiger, dass ihnen das Standortmanagement die Sorge um geeignete Räume abnimmt - ein guter Grund, sich hier anzusiedeln. Wer will, erhält als Jungunternehmer auch in anderen Bereichen Hilfe. Ein Innovations- und Gründerzentrum hilft auf Wunsch bei der Führung des Unternehmens oder beim Umgang mit der Bürokratie, bei Rechtsstreitigkeiten oder beim Marketing. Und falls eine kleine IT-Bude mal hohen Besuch vom japanischen Investor erwartet, kann sie repräsentative Räume für den Empfang mitbenutzen. Die Hilfe motivierte 250 Jungunternehmer, hier ihre Firma zu gründen. Die meisten davon kooperieren mit einem oder mehreren Partnern, die auch in Adlershof sitzen.
Wegen der günstigen Umgebung gründete auch die amerikanische Ixys Corporation hier eine Tochtergesellschaft, um zusammen mit den Wissenschaftlern eines Instituts für Höchstfrequenztechnik neue Bauteile für schnelle Internetverbindungen zu entwickeln. Andere Neulinge mit zukunftsweisenden Projekten sind die Capsulution Nanoscience GmbH, die winzige Kapseln für Medizin machen kann oder ein Solartechnik-Unternehmen, das die Energieausbeute von Sonnenkollektoren verbessern will.
Die Nähe zur Praxis ist ein Vorteil für Studenten und Professoren der Humboldt-Uni. Doch Adlershof ist andererseits vom alten Standort und den übrigen Einrichtungen eine halbe Stunde mit der S-Bahn entfernt. Die Mathematiker und die Informatiker konnten sich bereits an den Zustand gewöhnen, sie sind schon seit sechs Jahren hier; zuletzt bezog die Physik ihre neue Bleibe.
Die Geografen und Psychologen lernen heute in ehemaligen Kasernen des DDR-Wachregiments. Die Gebäude sind allerdings elegant modernisiert und wurden durch Neubauten ergänzt. Am besten gefällt den Besuchern das Gebäude der Physik mit seinen klaren Linien in Glas und Stahl. Hier sind die Errungenschaften der Umwelttechnik bereits umgesetzt: Das Regenwasser fließt weiter zur Bewässerung der Pflanzen, die an der Südseite die Außenwände hoch wachsen sollen. Auf dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Campus ist jedes Gebäude von einem anderen Architekten gebaut.
Im Kontrast zur Physik ist das Gebäude der Chemie bunt. Weil zwischen den Gebäuden noch Brachland liegt, fühlen sich die Studenten und Professoren allerdings noch nicht wie auf einem amerikanischen Campus, wo alle Einrichtungen durch einen Park verbunden sind. Auch die Anfahrt gestaltet sich schwierig. Kaum einer lebt in Adlershof, und die Straßen sind in Stoßzeiten überlastet. Eine S-Bahn- Unterführung ist das Nadelöhr, an dem auch Busse und Straßenbahnen oft stecken bleiben.
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Berlin Adlershof. Der Anfang: Um eine zukunftsorientierte Stadtstruktur über den Wissenschafts- und Technologiepark hinaus zu entwickeln, wurde im Jahr 1994 ein 420 Hektar umfassendes Areal als städtebaulicher Entwicklungsbereich einschließlich zweier Anpassungsgebiete vom Berliner Senat förmlich festgelegt und die BAAG Berlin Adlershof Aufbaugesellschaft mbH als treuhänderischer Entwicklungsträger eingesetzt.
Das Konzept: Ein integrierter Wissenschafts-, Wirtschafts- und Medienstandort mit zwölf außeruniversitären Forschungseinrichtungen, den Instituten für Mathematik, Informatik und Chemie der Humboldt-Universität zu Berlin bietet rund 670 Unternehmen Platz, die etwa 10 500 Arbeitsplätze bieten. Kern ist der Wissenschafts- und Technologiepark.
Autor: FINN-ROBERT MAYER-KUCKUCK