Europäische Kristallzüchtung stärken
Bedeutung der interdisziplinären Forschungsrichtung wird oft verkannt
Die Kristallzüchtung ist extrem wichtig für den technologischen Fortschritt in der Optik-, Elektronik- und Solarbranche, insbesondere unter dem Aspekt der Energieeinsparung bei Herstellung und Verwendung von elektronischen Bauteilen. Europäische Kristallzüchter beraten, wie ihre interdisziplinäre Forschungsrichtung besser in europäische Förderprogramme und die akademische Ausbildung eingebunden werden kann.
Die Züchtung von Kristallen ist eine Wissenschaftsrichtung, von deren Innovationen die Zukunft der Branchen Mikro- und Optoelektronik, Nano- und Kommunikationstechnologie, Photovoltaik und sogar der Biotechnologie in entscheidendem Maße abhängt. Die Kristallzüchtung steht bei diesen Technologien am Anfang der Wertschöpfungskette und wird dadurch in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Auf Grund ihres interdisziplinären Charakters findet die Kristallzüchtung auch bei Förderprogrammen und in der akademischen Ausbildung nicht ausreichend Berücksichtigung. Europäische Kristallzüchter wollen dies ändern und treffen sich dazu am 20. und 21. Oktober in Berlin-Adlershof.
Während der Veranstaltung stehen unter anderem folgende führende internationale Kristallzüchter als Interviewpartner zur Verfügung:
- Prof. Roberto Fornari, Deutschland, designierter Präsident der International Organisation of Crystal Growth (IOCG) und Direktor des Leibniz-Instituts für Kristallzüchtung
- Dr. Vyacheslav Puzikov, Ukraine, Direktor eines großen Institutes für Kristalle mit bis zu 1000 Mitarbeitern
- Prof. Elias Vlieg, Mitglied des IOCG Exekutivkomitees, Niederlande, Stichwort: biologische Kristalle
- Prof. Andris Muiznieks, Lettland, Stichwort: Modellierung von Kristallzüchtungs-vorgängen
- Prof. K. Roberts, Mitglied des IOCG Exekutivkomitees, England, Stichwort: industrielle Massenkristallisation für die Nahrungsmittelindustrie
- Dr. Thierry Duffar, Frankreich, Stichwort: Kristallzüchtungsexperimente unter verminderter Schwerkraft, Solarsilizium
- Prof. Hanna Dabkovska, Leiterein der Komission „Crystal Growth“ der International Union of Crystallography, Canada, Stichwort: internationale Nachwuchsarbeit
- Prof. Peter Rudolph, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kristallzüchtung und Kristallwachstum (DGKK) und Leibniz-Institut für Kristallzüchtung, Berlin
- u.a. aus Spanien, Schweden, Irland, Frankreich, Italien, Polen,....
Informationen zur Kristallzüchtung
In der Ungestörtheit von Gesteinshöhlen wachsen sie in tausenden und Millionen von Jahren zu ebenmäßigen Schönheiten heran: Kristalle wie Diamanten oder Rubine faszinierten die Menschen schon immer als Schmucksteine und Symbole für Reichtum und Wohlstand. Chemisch gesehen sind Kristalle die regelmäßigsten Strukturen, die die Natur kennt. In ihnen sind Atome oder auch Moleküle in immer gleichem Abstand und gleicher Reihenfolge angeordnet. Kristallzüchter versuchten schon Anfang des 19. Jahrhunderts die Natur nachzuahmen und künstliche Kristalle vor allem für Schmuck zu züchten.
Mit dem Beginn der Optik wurden die Eigenschaften von Kristallen zur Lichtbrechung genutzt, mit Einzug der Lasertechnik bildeten sie die Grundlage für Festkörperlaser. Halbleiterkristalle haben heute den Massenmarkt erobert, denn sie bilden die Basis jedes elektronischen Gerätes oder Bauteiles. Ohne Halbleiterkristalle gäbe es keine Computer, keine Leuchtdiode, keine modernen Autos, keinen Tintenstrahldrucker, kein medizinisches Ultraschalldiagnosegerät, keine Satellitenkommunikation, keine Solarzelle, keine Flüssigkristallbildschirme etc.
Natürliche Kristalle sind für diese Anwendungen zu selten und zu verunreinigt. Viele heute verwendete Kristalle wachsen in der Natur auch überhaupt nicht heran, Chemiker kreieren daher ihre Zusammensetzung und züchten sie in komplizierten Verfahren. Weil Kristalle in so vielen Anwendungen stecken, kommt ihrer Herstellung eine sehr hohe wirtschaftliche Bedeutung zu.
Die Herstellungskosten, der Energieverbrauch bei der Produktion und die Qualität der Kristalle werden durch die Züchtung maßgeblich bestimmt. Hier kommen die Kristallzüchter ins Spiel, die versuchen immer neue und verbesserte Züchtungsverfahren zu entwickeln. Ein Ziel ist es beispielsweise, größere Volumenkristalle zu erhalten. Denn die zumeist aus ihrem geschmolzenen Zustand gezogenen Kristalle sind in der Regel zylinderförmig, wodurch bei der Weiterverarbeitung umso weniger Abfall entsteht, je größer sie sind. Bei Silizium, dem wichtigsten Halbleitermaterial, sind die Kristallzüchter bereits in der Lage vergleichsweise riesige Kristalle mit einem Durchmesser von 40 Zentimetern, einer Länge von bis zu 2 Metern und einem Gewicht von bis zu 450 Kilogramm zu züchten. Andere weit kompliziertere Halbleiter und viele optische und Lasermaterialien bringen es dagegen nur auf Durchmesser einer CD und weniger. Um den Ausstoß zu erhöhen, ist man in der Scheibenfertigung für Solarzellen heute schon auf die Kristallisation rechteckiger aus Silizium-Blöcke mit Gewichten bis 500 und 1000 Kilogramm übergegangen.
Auch der Energieverbrauch bei der Herstellung spielt für die Kosten eine wichtige Rolle, denn wenn die Kristalle aus der Schmelze gezogen werden, liegen die Temperaturen oft weit über 1000 °C. Auch hier suchen die Forscher nach besseren Rezepten, zum Beispiel indem sie Kristalle aus dem Dampf oder Lösungen mit niedrigeren Temperaturen züchten.
Manche Halbleiter, wie beispielsweise Siliziumkarbid, Aluminiumnitrid und Galliumnitrid lassen sich überhaupt noch nicht mit vertretbarem Aufwand als Volumenkristall züchten, obwohl die Mikro- und Optoelektronikbranche sie für neue Anwendungen, beispielsweise in Elektroautos oder für die Massenproduktion von weißen Leuchtdioden dringend bräuchte - eine große Herausforderung für die Kristallzüchter. Der Durchbruch der Solarenergie beispielsweise hängt entscheidend davon ab, ob es den Kristallzüchtern gelingt, noch kostengünstigeres kristallines Solarsilizium mit hohem Wirkungsgrad oder neue noch effektivere Materialkombinationen herzustellen.
Im Gegensatz zu der immensen Bedeutung der Kristallzüchtung stehen ihre geringe Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und die wenigen Fördermöglichkeiten, das soll sich ändern. Die führenden Kristallzüchter fast aller europäischen Länder treffen sich deshalb am 20. und 21. Oktober in Berlin-Adlershof. Sie wollen unter anderem erreichen, dass ihre interdisziplinäre Forschungsrichtung in EU-Förderprogramme aufgenommen wird und die akademische Ausbildung Eingang findet. Auch wollen sie ein kooperierendes europäisches Netzwerk gründen, das eines Tages in eine Europäische Gemeinschaft für Kristallzüchtung übergehen könnte.
Kontakt:
Prof. Peter Rudolph
Leibniz-Institut für Kristallzüchtung
Tel.: 030 -6392 3034
E-Mail: pr(at)ikz-berlin.de
Dr. Wolfram Miller
Leibniz-Institut für Kristallzüchtung
Tel.: 030 -6392 3074 3078
E-Mail: wm(at)ikz-berlin.de
Pressemitteilung des Forschungsverbunds Berlin e.V.
www.fv-berlin.de