Fast alles lässt sich berechnen
HU-Mathematiker initiieren Richard-von-Mises-Vorlesungsreihe
Wie entstehen Spekulationsblasen an Finanzmärkten? Wie breiten sie sich aus und warum verschwinden sie? Bis heute gibt es noch kein befriedigendes mathematisches Modell für dieses von Zeit zu Zeit beobachtbare Phänomen. Das Interesse an einer berechenbaren Lösung ist sehr groß. Daher haben die Mathematiker der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) dieses Thema zum Auftakt ihrer neuen Veranstaltungsreihe gewählt. Am 7. Juni findet auf dem Adlershofer Campus der HU die Richard-von-Mises-Vorlesung 2007 statt. Mit Professor Philip Protter von der Cornell University (USA), der zum neuesten Stand mathematischer Modellierungen von Spekulationsblasen an Finanzmärkten referiert, konnte einer der international führenden Mathematiker auf diesem Gebiet gewonnen werden.
Spekulationsblasen an Finanzmärkten
Seit vielen Jahren wird versucht, die weitgehend vom Zufall beeinflussten Vorgänge an Finanzmärkten zu verstehen und wenigstens in gewissem Rahmen berechenbar zu machen. Dazu werden mathematische Modelle für die Entwicklung von Aktienkursen und von Zinsentwicklungen benötigt. Auf der Grundlage dieser Modelle lassen sich Preise für Finanzderivate wie z. B. Optionen, Futures und Swaps berechnen und Absicherungsstrategien für risikobehaftete Finanzgeschäfte entwickeln. Inwieweit die Mathematiker auch den Problemen von Spekulationsblasen an Finanzmärkten auf die Spur gekommen sind, wird Professor Protter, der sich mit der Stochastischen Analysis und ihren Anwendungen insbesondere zur Modellierung der Dynamik auf Finanzmärkten befasst, in der von-Mises-Vorlesung vorstellen.
Interesse auf moderne Gebiete der angewandten Mathematik lenken
„Mit der jährlich einmal stattfindenden Veranstaltung wollen wir sowohl die Aufmerksamkeit der Mathematiker, anderer Wissenschaftler und der Öffentlichkeit auf moderne Gebiete der angewandten Mathematik lenken als auch den Bogen zur Geschichte Adlershofs spannen“, so Uwe Küchler, einer der Initiatoren der Veranstaltung. Denn Richard von Mises war von 1920 bis 1933 Professor an der Berliner Universität und Direktor des damals neu gegründeten Instituts für Angewandte Mathematik. Sein wissenschaftliches Arbeitsgebiet erstreckte sich von konkreten ingenieurtechnischen Problemen des Maschinenbaus, speziell der Mechanik, der Aero- und Hydrodynamik über alle angewandten Gebiete der Mathematik bis hin zur Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik. Bekannt sind vor allem seine grundlegenden Untersuchungen zur theoretischen Fundierung der Wahrscheinlichkeitstheorie auf der Grundlage des Begriffs des „Kollektivs“ und der Stabilisierung der relativen Häufigkeiten in langen Versuchsreihen. Von Mises Bemühungen um eine praxisorientierte Ausbildung der Studierenden, die unter seiner Anleitung Praktika in Astronomie, Geodäsie und anderen technischen Gebieten sowie in angewandter Mathematik durchführten, waren beispielgebend für viele Hochschulen des In- und Auslands. Insbesondere auch durch seine Tätigkeit als Pilot, Flugzeugkonstrukteur, und Autor eines in seiner Zeit sehr verbreiteten Lehrbuches „Fluglehre“ ist von Mises eine interessante Persönlichkeit auch für die historische Entwicklung in Adlershof. Eine Einführung über Richard von Mises und seine Zeit in Berlin wird die Wissenschaftshistorikerin Dr. Annette Vogt vom Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte Berlin zu Beginn der Vorlesung am 7. Juni geben.
Wahrscheinlichkeitstheorie und Finanzmathematik gehören zum Profil des Instituts für Mathematik der HU. Ein hervorragender Vertreter dieses Faches ist Professor Hans Föllmer. Im Jahr 2006 trat er in den Ruhestand. Ihm zu Ehren veranstaltet das Institut für Mathematik am 8. und 9. Juni ein Kolloquium, in dessen Rahmen zehn der zurzeit weltweit führenden Spezialisten der Stochastischen Analysis und der Stochastik der Finanzmärkte über ihre Arbeiten vortragen werden. Informationen über beide Veranstaltungen und Anmeldemöglichkeiten findet man unter
wws.mathematik.hu-berlin.de/von_Mises/2007/ und
wws.mathematik.hu-berlin.de/colloquium_foellmer/
Kontakt:
Uwe Küchler
Tel.: 2093-5811
E-Mail: kuechler(at)math.hu-berlin.de