Gemeinsam ist alles einfacher
Das Start-up YouCan! unterstützt krebskranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene
Sie liegen im Krankenhausbett, ziehen sich die Decke über den Kopf, wollen mit niemandem sprechen: Eine Krebsdiagnose ist für junge Menschen ein schwerer Schicksalsschlag. Durch eine App unterstützt sie das Berliner Start-up YouCan! dabei, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten und neuen Mut zu schöpfen.
Krebs ist eine psychische Grenzerfahrung. Allzu häufig bleiben die rund 2.000 Kinder und Jugendlichen, die jedes Jahr deutschlandweit daran erkranken, mit ihren Sorgen allein. So erlebte die Kinderkrankenschwester Janina Krassa bei ihrer Arbeit auf einer Berliner Kinderkrebsstation immer wieder, wie Jugendliche im Krankenhaus verstummten, keinen Weg fanden, ihre Gefühle und Erlebnisse zu verarbeiten. Nur manchmal, spät am Abend, vertrauten sie sich ihr an, sprachen über ihre Mutlosigkeit, ihre Angst vor dem Tod. „Das hat mich sehr berührt und nachdenklich gemacht. Die medizinische Versorgung entspricht dem Goldstandard, aber das Psychische fällt häufig hinten runter.“
Was tun, um die Betroffenen zu unterstützen? „Wenn sie wach sind, verbringen sie 90 Prozent der Zeit am Handy“, beobachtete Krassa – und da kam ihr eine Idee. Sie schrieb sich für Psychologie an der Freien Universität Berlin (FU) ein, gründete 2019 dann YouCan! – ein Start-up, das eine wissenschaftlich fundierte App zur psychosozialen Unterstützung für krebskranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene entwickelt. Finanzielle Unterstützung erfuhr das Team durch das Berliner Startup Stipendium sowie das EXIST-Gründerstipendium.
Die App ermutigt dazu, Erfahrungen und Gefühle zu dokumentieren. Einfach formulierte Texte informieren über Krankheit, Behandlungsmethoden und Prognosen. „Wir haben Interviews mit den Jugendlichen geführt und gefragt: Was braucht ihr, was sind eure Probleme? So haben wir immer mehr Features entwickelt“, sagt Krassa.
Das Herzstück der YouCan!-App ist der Chat: Hier können Nutzer:innen nach anderen Betroffenen suchen und sich über ihre Erfahrungen austauschen. Dies ist besonders wichtig, weil Kinder und Jugendliche oft keine Gleichaltrigen kennen, die ihre Sorgen und Ängste verstehen. „Andere Erkrankte wissen, wie es einem nach der Chemotherapie geht, wie es ist, wenn die Haare ausfallen, was bei Übelkeit hilft. Das ist auch im Sinne der sozialen Unterstützung sehr wertvoll“, erklärt die Psychologin. Die Niederschwelligkeit der App macht es Nutzer:innen dabei leicht, soziale Ängste zu überwinden. „Die Jugendlichen sind ja in der Pubertät, gehen nicht auf den Krankenhausflur und sagen: Hi, ich bin der Kai. Bist du auch krank? Wollen wir mal reden? Mit solchen Angeboten kann man die Kontaktaufnahme deutlich vereinfachen.“
„Unser Team war zum großen Teil selbst von Krebs betroffen oder hat Betroffene im Familien- und Bekanntenkreis“, sagt die YouCan!-Geschäftsführerin. „Wir haben also selbst erfahren, wie belastend eine Erkrankung ist, und wollen, dass kein junger Mensch mehr mit seiner Diagnose, seiner Therapie und seinem Kampf gegen den Krebs allein bleibt.“ Aktuell nutzt das YouCan!-Team die Räumlichkeiten der FU-Gründervilla, prüft die App mit der Hilfe von 30 Beta-Tester:innen auf Resonanz und Funktionalität. Ende dieses Jahres soll die Anwendung dann deutschlandweit zur Verfügung stehen. Um die Finanzierung und somit den langfristigen Betrieb der YouCan!-App zu sichern, ist die gemeinnützige YouCan! gGmbH nun auf der Suche nach strategischen Partnern.
Nora Lessing für POTENZIAL