Je länger desto besser
Langwellige Lichtimpulse erzeugen brillante ultrakurze harte Röntgenblitze
Wissenschaftler des Max-Born-Instituts und der Technischen Universität Wien präsentieren eine neue, kompakte Laborquelle für ultrakurze, harte Röntgenimpulse mit einem bisher unerreichten Photonenfluss.
Röntgenstrahlen sind ein Schlüsselwerkzeug zum Abbilden der Struktur von Materialien und der Analyse ihrer Zusammensetzung - beim Arzt, im Chemielabor und in den Materialwissenschaften. Strahlt man sogenannte harte Röntgenstrahlung, die eine zum Abstand zwischen Atomen vergleichbare Wellenlänge besitzt, auf ein Material, so kann man die räumliche Anordnung der Atome aus dem Muster der gestreuten Röntgenstrahlung bestimmen. Diese Standardmethode hat bislang Gleichgewichtsstrukturen von wachsender Komplexität entschlüsselt, angefangen von einfachen anorganischen Kristallen bis zu hochkomplexen Biomolekülen wie die Erbsubstanz DNS oder großen Eiweißmolekülen.
Heutzutage sind viele Wissenschaftler bestrebt, den Atomen beim "Arbeiten" zuzuschauen, d.h. sie wollen direkt die Bewegung der Atome bei einer Schwingung, chemischen Reaktion oder auch Materialmodifikation beobachten. Atomare Bewegungen erfolgen typischerweise in einem Zeitbereich von Femtosekunden (1 Femtosekunde = 10-15 Sekunden). Daher benötigt man für solch einen "Röntgenfilm" eine extrem kurze Belichtungszeit mit entsprechend kurzen Röntgenblitzen.
Es gibt weltweit zwei komplementäre Herangehensweisen um ultrakurze, harte Röntgenimpulse zu erzeugen. Auf der einen Seite gibt es die Großmaschinen, z.B. Elektronenbeschleuniger wie die Freien Elektronen Laser (FEL) in Stanford USA (LCLS bei SLAC) oder bei SACLA in Japan. Auf der anderen Seite kann man kompakte Laborquellen für ultrakurze, harte Röntgenimpulse bauen, die von Femtosekunden-Lasersystemen getrieben werden. Obwohl der Röntgenfluss aus den Beschleunigerquellen deutlich höher ist als in den Laborquellen, haben sich die letzteren als geeignete Kameras für die Femtosekunden-"Röntgenfilme" herausgestellt. Die Qualität solcher Filme ist letztendlich durch die Anzahl der von der untersuchten Probe gestreuten Röntgenphotonen bestimmt.
Ein gemeinsames Team vom Max-Born-Institut (MBI) in Berlin und der Technischen Universität Wien hat jetzt einen Durchbruch für kompakte Laborquellen geschafft und den Fluss harter Röntgenstrahlung um einen Faktor 25 gesteigert. In der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Nature Photonics. beschreiben sie eine Kombination aus einem neuen optischen Treiberlaser, der Femtosekunden-Lichtimpulse bei Wellenlängen um 4000 nm (4 µm) im mittleren Infrarot liefert, und einem Metallband-Target in einer Vakuumkammer, welche ultrakurze Impulse harter Röntgenstrahlung bei einer Wellenlänge von 0,154 Nanometern mit einer nicht da gewesenen Effizienz erzeugt.
Die Röntgenerzeugung erfolgt in 3 Schritten (Abb. 2), (i) Elektronenextraktion aus dem Metallband mittels des elektrischen Feldes des Treiber-Lichtimpulses, (ii) Beschleunigung der Elektronen im Vakuum durch das starke optische Feld und Rückkehr in das Band mit einem ungeheuren Gewinn und kinetischer Energie, und (iii) die Erzeugung von Röntgenblitzen durch inelastische Stöße der energetischen Elektronen mit den Metallatomen im Band.
Längere optische Wellenlängen entsprechen einer längeren Oszillationsperiode des optischen Feldes und führen daher zu einer längeren Beschleunigungszeit der Elektronen im Vakuum. Eine Konsequenz der längeren Beschleunigungszeit ist die deutlich höhere kinetische Energie, mit der die Elektronen in das Metallband einschlagen, was zu einer deutlich höheren Effizienz bei der Röntgenerzeugung führt.
Die Situation ähnelt stark der von Turmspringern, die von verschieden hohen Plattformen eines Sprungturms ins Wasser springen (Abb. 1). Auch dort bestimmt die Zeitspanne Δt des freien Falls die kinetische Energie des Springers beim Eintauchen in das Wasser. Die Energie ist proportional zu Δt2. Die feldgetriebenen Exkursionen der Elektronen im Vakuum wurden im Detail in theoretischen Rechnungen analysiert und werden in der beigefügten Animation gezeigt (Abb. 3).
Die Experimente wurden an der TU Wien durchgeführt, wo die Forscher ein neues Treiber-Lasersystem, das auf dem Konzept der "Optical Parametric Chirped Pulse Amplification" OPCPA) beruht, mit einer Röntgen-Erzeugungskammer des MBI kombinierten. Lichtimpulse von 80 fs Dauer und einer Energie bis zu 18 mJ bei einer Zentralwellenlänge von 3900 nm (3,9 µm) wurden auf ein 20 µm dickes Kupferband fokussiert. Dieses Konzept erlaubt die nie da gewesene Erzeugung von einer Milliarde harter Röntgenphotonen pro Laserschuss bei einer Wellenlänge von 0,154 nm.
Gegenüber früheren Experimenten mit einer Treiberwellenlänge von 800 nm zeigt sich eine Überhöhung um den Fakor 25, was etwa dem Quadrat des Wellenlängenverhältnisses (3900 nm/800 nm)2 entspricht. Dieses Verhalten ist in quantitativer Übereinstimmung mit der theoretischen Analyse basierend auf dem 3-Stufen Konzept in Abb. 2. Die bahnbrechenden Ergebnisse weisen den Weg für neue, kompakte Laborquellen, mit denen man bis zu 1010 x-ray Röntgenphotonen pro Laserschuss bei einer Wiederholrate von 1000 Hz erzeugen wird.
Originalveröffentlichung:
Jannick Weisshaupt, Vincent Juvé, Marcel Holtz, ShinAn Ku, Michael Woerner, Thomas Elsaesser, Skirmantas Ališauskas, Audrius Pugzlys and Andrius Baltuška
High-brightness table-top hard X-ray source driven by sub-100 femtosecond mid-infrared pulses
Nature Photonics doi:10.1038/nphoton.2014.256.
Abb. 1: Analogie der Elektronenbeschleunigung im Vakuum mit der Beschleunigung eines Turmspringers in der Schwerkraft der Erde, wenn er von verschiedenen Plattformen des Turmes springt. Längere Wellenlängen entsprechen längeren Oszillationsperioden des optischen Feldes und führen zu einer zeitlich längeren Beschleunigung der Elektronen im Vakuum. Der Zeitabschnitt Δt zwischen Verlassen der Plattform und Eintauchen in die Wasseroberfläche steigt mit der Absprunghöhe und die kinetische Energie des Springers an der Wasseroberfläche ist proportional zu Δt2. Analog erhalten Elektronen in einer längeren Beschleunigungsphase Δt auch eine deutlich höhere kinetische Energie bevor sie in das Metallband einschlagen. Das führt wiederum zu einer effizienteren Erzeugung von Röntgenstrahlen.
Abb. 2: Links: Erzeugung von Röntgenstrahlen in einer konventionellen Röntgenröhre. Elektronen werden von der geheizten Kathode (-) emittiert und dann durch ein konstantes elektrisches Feld auf die Anode (+) zu beschleunigt. Innerhalb der Metall-Anode (z.B. Kupfer) führen inelastische Stöße der Elektronen mit den Metallatomen zur Erzeugung von sowohl charakteristischer Linienemission von Röntgenstrahlung (schmale Linien im unteren Spektrum) als auch von Bremsstrahlung. Rechts: Femtosekunden Lichtimpulse im mittleren Infrarot (λ = 3900 nm) aus einem OPCPA-System werden auf ein Kupfer-Bandtarget fokussiert. Die Elektronen werden durch das starke elektrische Feld des Lichtimpulses zunächst aus der Oberfläche herausgezogen, danach im Vakuum beschleunigt und schließlich in das Kupferband zurückgeschossen. Während der Abbremsung im Metallband produzieren die energetischen Elektronen charakteristische Linienemission und Bremsstrahlung, welche von einem Röntgendetektor gemessen wird.
Abb. 3: Animation der Beschleunigung von Elektronen (blaue Kugeln) im Vakuum oberhalb der Metalloberfläche, die dem starken, oszillierenden, elektrischen Feld des Laserimpulses ausgesetzt sind (schwarze Kurve).
Kontakt:
Jannick Weisshaupt, weisshau(at)mbi-berlin.de, Tel: 030 6392 1471
Vincent Juvé, juve(at)mbi-berlin.de, Tel: 030 6392 1472
Michael Wörner, woerner(at)mbi-berlin.de, Tel: 030 6392 1470
Thomas Elsässer, elsasser(at)mbi-berlin.de, Tel: 030 6392 1400
Andrius Baltuška, andrius.baltuska(at)tuwien.ac.at, Tel: +43 1 58801 38749