Mit Wasserstoff die Energiewende voranbringen
Als Ganzjahresspeicher für Gebäude oder als Energieträger für die Region – wie zwei Adlershofer Unternehmen den praktischen Einsatz des Gases unterstützen
Ein typischer Sommertag in Adlershof: viel blauer Himmel, ein paar Wolken, meist scheint die Sonne. Auch auf die freistehenden Solarzellen an der Rudower Chaussee. Deren Strom lädt ein Auto, der Rest verschwindet in einem unscheinbaren Kasten. Über ein dünnes Rohr kommt die Energie wieder heraus und wird in Stahlflaschen geleitet. „Wasserstoff ist als Langzeitspeicher viel besser geeignet als Batterien“, sagt Nils Boenigk von der Firma HPS Home Power Solutions. Sie hat einen solchen Speicher für Einfamilienhäuser und kleine Gewerbe entwickelt.
HPS, 2014 in Adlershof gegründet, zielt auf eine sichere Bereitstellung über ein ganzes Jahr. „An einem sonnigen Tag wie heute sind Batterien schnell voll, der überschüssige Strom geht ins Netz“, erläutert der Kommunikationsleiter des Unternehmens. Die Akkus selbst sind bald wieder leer, für Waschmaschine, Computer, Wärmepumpe und auch durch Selbstentladung. Im Sommer kein Problem, denn die Sonne kommt bald wieder – nicht aber im Winter.
Die Umwandlung der selbst erzeugten Ökoenergie in Wasserstoff soll diese Lücke schließen. Dazu ist in der schrankgroßen Anlage namens picea ein Elektrolyseur montiert, der aufbereitetes Wasser spaltet: in Sauerstoff, der in die Umgebung geht, sowie Wasserstoff, der in Stahlflaschen geleitet wird. Die stehen in variablen Modulen außerhalb des Hauses. Sie genügen hohen Sicherheitsansprüchen, selbst ein Feuer oder der Aufprall eines Lkw würden keine Explosion hervorrufen. Bei Bedarf holt sich picea von dort das Gas zurück und macht in einer Brennstoffzelle wieder Strom daraus. Die Abwärme der Geräte wird ebenfalls genutzt für Heizung und Warmwasser. Picea ist damit der weltweit erste marktverfügbare Ganzjahres-Stromspeicher auf Wasserstoffbasis für Gebäude.
Vor der Auslieferung werden die Speicheranlagen in Adlershof gründlich getestet. Beim Gang durch die Räume fällt auf, dass viele junge Menschen hier arbeiten. Diversität sei wichtig und gelebt, sagt Boenigk, und kurze Entscheidungs- und Kommunikationswege sind unerlässlich für ein hochmotiviertes und schnell wachsendes Team, das gemeinsam die Energiewende vorantreiben möchte.
250 Anlagen sind bereits verkauft. Die Preise beginnen ab 85.000 Euro brutto. Es gebe jedoch Fördermittel und man sollte die Preissteigerungen beim Strom bedenken, meint Boenigk. „Gehen wir von einer 3,5-prozentigen jährlichen Strompreissteigerung aus, dann kann sich eine Anlage nach rund 20 Jahren amortisieren.“ Obwohl picea einen Gesamtnutzungsgrad von rund 90 Prozent erreicht, haben die Entwickler:innen noch einiges vor. Picea soll künftig helfen, die lokalen Stromnetze zu stabilisieren. „Gibt es viele Solaranlagen auf Hausdächern, die ins Netz einspeisen, kann es vor allem mittags zu Engpässen kommen“, erläutert Boenigk. Im Projekt „FlexEhome“ forscht HPS unter anderem mit der Technischen Universität Berlin an einem Einfamilienhaus, das seinen Energiebedarf an Strom und Wärme zu jedem Zeitpunkt des Jahres ausschließlich durch am Gebäude erzeugte erneuerbare Energien deckt und dem umgebenden Stromverteilnetz zusätzlich Netzdienstleistungen anbieten kann.
Während HPS mit Wasserstoff die Energiewende an einzelnen Gebäuden voranbringt, hat die Localiser RLI GmbH die gesamte Wertschöpfungskette im Blick. „Es gibt viele Unternehmen, die Wasserstoff anbieten wollen“, sagt Geschäftsführer Oliver Arnhold. Windparks zum Beispiel. Auf der anderen Seite wächst der Bedarf, etwa im Industrie-, Wärme- und Verkehrsbereich. Damit die Akteure schneller zusammenfinden, hat Localiser, eine Ausgründung des Reiner Lemoine Instituts, den digitalen Wasserstoffmarktplatz geschaffen. Ende April wurde er von den Ländern Berlin und Brandenburg offiziell gestartet.
In wenigen Minuten können Unternehmen die wichtigsten Daten eintragen und sind sofort auffindbar. „Es ist eine Mischung aus Partnerbörse und eBay-Kleinanzeigen“, sagt Arnhold mit einem Augenzwinkern und zeigt an einem großen Bildschirm, wie es funktioniert: In einer Landkarte lässt er sich potenzielle Anbieter anzeigen. Die prognostizierten Mengen sind ebenso ersichtlich wie der Status der Projekte, von Planung über Genehmigung bis Betrieb. „So lassen sich rasch mögliche Geschäftspartner identifizieren. Mittlerweile sind über 180 Unternehmen auf dem Marktplatz aktiv und haben Angebote und Gesuche in ganz Deutschland und Österreich eingestellt. Nach so kurzer Laufzeit werden schon mehr als 90.000 Tonnen Wasserstoff angeboten.“
Auch die Landesregierung profitiert. „Der Wasserstoffmarkt ist jung und im Wachsen, da gibt es viele Unsicherheiten“, erläutert Arnhold. Der Marktplatz zeige Tendenzen, wo sich Anbieter und Abnehmer befinden und welche Gasmengen bewegt werden müssen. „Auf dieser Grundlage kann entschieden werden, wo beispielsweise der Bau einer Pipeline besonders effektiv ist.“
Ralf Nestler für Adlershof Journal