Rund 50 Patente kamen allein im vergangenen Jahr aus Adlershof.
Dennoch befürchten die Wissenschaftler weitere Kürzungen
Welche ostdeutsche Region kann das von sich behaupten: dass dort mehr Menschen Lohn und Brot finden als vor der Wende. Jeden Morgen strömen mehrere Tausend Menschen aus dem S-Bahnhof Adlershof, stauen sich die Autos der Mitarbeiter auf dem Adlergestell bis fast nach Schöneweide. Zudem pendeln 3300 Studenten dorthin, ab Herbst sollen es 5500 sein. Rund eine Milliarde Euro haben der Berliner Senat, der Bund und die Europäische Union in die Adlershofer Erde versenkt. Langsam entwickelt sich ein Sog, ein eigenes kleines Magnetfeld, wie die Wissenschaftler wohl sagen würden.
Im vergangenen Jahr klopften mehrere Unternehmen an die Tür, um sich auf dem 89 Hektar großen Areal anzusiedeln. So gründete die kalifornische IXYS Corporation eine Tochter in Adlershof, um dort gemeinsam mit Elektronikern vom Ferdinand-Braun-Institut für Höchstfrequenztechnik (FBH) moderne Leistungsdioden zu entwickeln. Sie bestehen aus Galliumarsenid und sind herkömmlichen Siliziumelementen mehrfach überlegen. Bislang existieren am FBH die ersten Prototypen. IXYS Berlin strebt die industrielle Fertigung auf Vier-Zoll-Halbleiterscheiben an: für schnelle Handys, Informationstechnik und noch kleinere Computer.
Neu in Adlershof ist auch die Sulfurcell Solartechnik GmbH, die Solarmodule aus besonders dünnen Schichten herstellt. Die Capsulation Nanoscience GmbH produziert seit 2002 in Adlershof Mikrokapseln für medizinische Anwendungen. In den mikroskopisch kleinen Kapseln kann ein pharmazeutischer Wirkstoff im Körper an das gewünschte Organ transportiert und dort gezielt frei gesetzt werden. Ende 2002 kam die Dräger AG nach Adlershof, um hier Sicherheitstechnik zu entwickeln und zu bauen.
Terrain für Spezialisten
Diese Neuansiedlungen stehen für Hochtechnologie und eng begrenzte Marktsegmente. Also für Spezialisten schlechthin. Adlershof hat mit Gewerbezentren und Produktionsflächen anderswo wenig gemein. Hier geht es um Wissen und hoch technologische Ideen. „Unser Standort lebt von exzellenter Forschung“, bestätigt Hardy Schmitz, der Chefmanager des Adlershofer Wissenschaftsparks. „Die Pipeline füllt sich, dreißig Firmen stehen auf unserer Warteliste.“
Adlershof baut ganz auf Technologie: Zwölf große Forschungsinstitute und die naturwissenschaftlichen Bereiche der Humboldt-Universität schaffen eine Forschungsdichte, die bundesweit den Vergleich sucht. „Wir sind das Rückgrat des wirtschaftlichen Geschehens und der Gründungen hier“, meint der Physiker Ingolf Hertel, der Sprecher der zwölf unabhängigen Forschungsinstitute in Adlershof. In ihnen arbeiten rund 1500 Wissenschaftler und technisches Personal. Ihr Budget erreichte im vergangenen Jahr rund 125 Millionen Euro, drei Millionen Euro mehr als im Jahr zuvor. Das Land Berlin schießt nur rund 29 Millionen Euro zu. 35 Millionen Euro warben die Institute allein aus Forschungsaufträgen ein. „Das ist ein irre gutes Geschäft für das Land“, wie Ingolf Hertel selbstbewusst meint. „Aber wir befürchten weitere Kürzungen für die Wissenschaft. Es muss klar werden, das jeder Euro, der uns weggenommen wird, sich vervielfacht auf die Forschungen hier auswirkt.“ Rund 50 Patente entstanden in den letzten Jahren, jährlich kommen mehr als 150 Spitzenforscher aus dem Ausland als Gäste. Auch die jungen Adlershofer Fachmessen und Kongresse in der Optik, Lasertechnik, Planetenforschung oder Mikrotechnik erwiesen sich als kleine Glanzpunkte.
Die Spannbreite der Forschungsthemen reicht von ultrakurzen Laserblitzen über Mikrochips hin zu Astronomie, Schadstoffmessungen und Katalysechemie. Am Fraunhofer-Institut für Rechnerarchitektur und Software (First) in Adlershof läuft beispielsweise ein groß angelegtes Experiment mit Digital-Inband-Broadcasting. Dieses System ist in der Lage, digitales Fernsehen auch bei hohen Geschwindigkeiten in Fahrzeuge zu übertragen. Dazu setzen die Forscher speziell ausgestattete Testautos in der Stadt ein, die von einem Sender am Alexanderplatz angepeilt werden. Im Juni 2002 konnte First die beiden Endspiele der Fußball-Weltmeisterschaft in einen Bus der BVG übertragen.
Hier heimisch geworden
Die Physiker am Teilchenbeschleuniger Bessy in Adlershof schafften es dieser Tage erstmals eine spezielle Strahlung im Bereich von Terahertz zu erzeugen. Diese Meldung rauschte gehörig durch die Fachpresse, denn davon versprechen sich die Wissenschaftler einen neuen Zugang zu den Geheimnissen der Supraleiter. Oder dieses Beispiel: Experten der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) in Adlershof setzten Röntgenstrahlen auf einige wertvolle Silberstiftzeichnungen von Albrecht Dürer an. Sie konnten exakt die Zusammensetzung der haarfeinen Silberlinien mit dem eingemischten Kupfer und Quecksilber bestimmen. Der Eigentümer, das Kupferstichkabinett der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, kann diese Resultate nutzen, um Fälschungen auf dem internationalen Kunstmarkt besser zu erkennen.
Wesentliche Impulse für die Forschung in Adlershof werden auch die Institute der Humboldt-Universität geben, die aus Berlin-Mitte an die Rudower Chaussee gezogen sind. Die Mathematiker, Physiker, Informatiker und Chemiker haben ihre neuen Laborgebäude in Adlershof bereits bezogen. Der Umzug der Physiker und Chemiker erfolgte im Winter, so dass noch nicht alle Leitungen angeschlossen und alle Kisten ausgepackt sind. „Entgegen ursprünglichen Befürchtungen fühlen sich die Professoren und Studenten langsam in Adlershof heimisch“, sagt Hans Jürgen Prömel, Vizepräsident der Humboldt-Universität.
Rund 40 Millionen Euro steckte das Land Berlin in das neue Erwin-Schrödinger-Zentrum, das eine große Multimedia-Bibliothek, mehrere kleine Hörsäle, Seminarräume sowie eine Cafeteria beherbergt. Die feierliche Eröffnung ist Mitte Mai, doch schon jetzt nutzen die Studenten und Wissenschaftler die Angebote – denn das erste Semester hat gerade begonnen.
Noch in diesem Jahr sollen die Psychologen und die Geografen der Humboldt-Universität folgen. Dann werden insgesamt 90 Professoren und 400 wissenschaftliche Mitarbeiter in Adlershof tätig sein. Bis 2007 ziehen auch die Biologen dorthin um.
Am 14. Juni wird in Adlershof wieder die „Lange Nacht der Wissenschaften“ stattfinden. Die Veranstaltung, zu der im vergangenen Jahr 25 000 Besucher kamen, will den Standort einem breiten Pulbikum bekannt machen. Zentraler Anlaufpunkt wird das Erwin-Schrödinger-Zentrum sein, und es werden auch diesmal Führer eingesetzt, die den Besuchern auf dem Gelände Auskunft geben.
Quelle: Tagesspiegel, 29.04.2003