Spurensuche im Reinraum
BAM spürt Herkunft antiker Fluchtafeln auf
Ob der Ursprung antiker Fluchtafeln oder die Herkunft pflanzlicher und tierischer Produkte – im metallfreien Reinraumlabor der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung können sie bestimmt werden.
Blitz und blank präsentiert sich der reinste Raum Berlins. Wände, Schränke, Türen sind weiß, die Abzugshauben aus milchigem Plexiglas. Wer hier reingeht, streift einen weißen Schutzanzug über. Die Türen hängen an Angeln aus Plastik, die Schränke stehen auf Füßen aus Polypropylen, die Schubladen haben keine metallenen Griffe, kein Metallschräubchen findet sich im ganzen Raum. „Metall kann korrodieren, die Zerfallsprodukte gelangen in die Luft und können die Messungen verfälschen“, sagt Jochen Vogl. Der promovierte Chemiker ist für den metallfreien Reinraum zuständig, der im kürzlich eröffneten Gebäude der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM) in Adlershof die Suche nach kleinsten Stoffmengen ermöglicht. Es geht um Analytik im Spuren- und Ultraspurenbereich, um Mengen von millionstel (mikro), milliardstel (nano) bis zu billionstel (piko) Gramm.
Besonders anspruchsvoll wird es, wenn Alter und Herkunft etwa bei Lebensmitteln oder archäologischen Funden geklärt werden sollen. Dann kommen Isotope ins Spiel, das sind Atome ein und desselben Elements, die sich nur durch die Zahl der Neutronen unterscheiden. Blei und Eisen beispielsweise haben vier stabile Isotope, Cadmium acht. Die Mengen der einzelnen Isotope eines Atoms stehen in einem bestimmten Verhältnis zueinander, das allerdings regional verschieden sein kann. Das gemessene Isotopenverhältnis kann also für einen bestimmten Standort charakteristisch sein.
Dies lässt sich nutzen, um die Herkunft pflanzlicher oder tierischer Produkte sowie von Fossilien zu bestimmen. Auch die Umwelt beeinflusst das Isotopenverhältnis, was beispielsweise Rückschlüsse auf das Klima ermöglicht.
Die Qualitätskontrolle solcher schwierigen Messungen sichern Referenzmaterialien, deren definierte Eigenschaften als Vergleichsgröße dienen. Denn die meisten chemischen Analysen sind Vergleichsmessungen. Das Messgerät liefert nur ein relatives Signal, das dann auf einen bekannten Wert bezogen wird, der durch Referenzmaterialien realisiert werden kann. Die Herstellung derartiger zertifizierter Materialien gehört zu den Aufgaben der BAM. Abnehmer sind Wissenschaft, Analytiklabore oder die Industrie.
Zur exakten Bestimmung der Isotope verschiedener Elemente entwickelte das Team um Vogl geeignete Referenzmaterialien. Solche Substanzen sind auch zur exakten Messung von Cadmium-Isotopen nötig, die in irdischen Mineralien oder in Meteoritengestein gefunden werden.
Dies gibt Hinweise auf die Entstehung des Sonnensystems. Zur Aufklärung magischer Rituale dienen Blei-Isotope, die in antiken Fluchtafeln enthalten sind. „Böse Wünsche wurden in die Bleiplättchen eingeritzt, anschließend gefaltet oder gerollt und angenagelt“, sagt Vogl. Etwa um einen lästigen Nachbarn zu verwünschen oder eine Person an sich zu binden. Fluchtafeln, die bei Ausgrabungen gefunden wurden, finden sich auch in der Antikensammlung der Berliner Museen. Die meisten entstanden etwa im Zeitraum 300 Jahre vor bis 300 Jahre nach Christus. Doch wo genau stammen sie her? Zur Klärung war kürzlich die BAM gefragt, speziell das Reinraumlabor. Dort wurde das Verhältnis der Blei-Isotope bestimmt. „Es stellte sich heraus, dass das Blei der meisten Tafeln aus dem Athener Raum stammt, in einigen Fällen aber auch sardischen oder zypriotischen Ursprungs ist“, sagt Vogl.
Gemessen werden die winzigen Konzentrationen mit hochentwickelten Massen-spektrometern. Hinweise auf die Art früherer und jetziger Ernährung geben Isotope von Metallen wie Strontium, Calcium oder Eisen. Die Proben werden im neuen BAM-Reinraum gemessen. Gut, dass er metallfrei ist.
Von Paul Janositz für Adlershof Journal