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Ausweg aus der Bohrmaschinenkostenfalle
Essay von Jens Lubbadeh, freier Journalist. Er war zuvor Redakteur bei Technology Review und Kolumnist für Spiegel Online und Jolie.
Jede Bewegung hat ihre Ikonen. Die Sharing Economy hat zwei: Rachel Botsman, globale Vordenkerin des Geben und Nehmens. Und die Bohrmaschine. Sie wird immer wieder angeführt, wenn es darum geht, die Nutzlosigkeit des Besitzens zu demonstrieren. Tatsächlich: Gegen diese harten Zahlen lässt sich schwer argumentieren. Während ihres langen Lebens tut eine Bohrmaschine gerade einmal 13 Minuten lang das, wofür sie gebaut und wonach sie benannt wurde: Bohren. Den Rest der Zeit liegt sie herum. Eine typische Maschine für 70 Euro kommt so auf einen Stundenlohn von satten 323 Euro – gleichauf mit teuren Rechtsanwälten.
Wenn Sie – wie viele andere – das für überbezahlt halten, sind Sie schon in die Sharing Economy eingetreten. Teilen statt Besitzen soll einen Ausweg bieten aus der Bohrmaschinenkostenfalle.
Keine ganz neue Erkenntnis eigentlich. In meiner Studentenzeit, als das Geld knapp floss, war „Kannst du mir mal deine Bohrmaschine leihen?“ ein Standardsatz in meiner WG. Persönlicher Besitz löste sich dort von ganz alleine auf. Das hatte durchaus etwas Sinnstiftendes.
Aber das ist zwanzig Jahre her. Die „iGesellschaft“ muss Gemeinschaft neu lernen. Online-Sharing-Communitys sollen all die Schlagbohrmaschinen, Akkuschrauber, Stichsägen, Heißkleber und Winkelschleifer nun aus ihrem kellerlichen Dornröschenschlaf wachküssen.
Na gut, denke ich und begebe mich mal auf die Suche nach einer Bohrmaschine. Ich gehe auf Fairleihen.de – aber die gibt es nur in Berlin. Ich wohne in Hamburg. Allenachbarn.de ist keine Datenbank für Objekte, sondern eine Art Schwarzes Brett. „Hey, suche ne Bohrmaschine“, könnte ich da zwar digital dranpinnen und hoffen, dass irgendjemand aus meinem Haus es sieht. Ich könnte es aber auch lassen und einfach in meinem Haus einen Zettel unten am Eingang ankleben. Hitflip.de und Tauschothek.de haben Bücher, CDs und DVDs, aber keine Bohrmaschinen im Programm.
Bei wir.de bin ich endlich richtig: „Du brauchst nur mal kurz eine Bohrmaschine? Bei wir.de kommst du schnell und sicher mit deinen Nachbarn zusammen.“ (Man beachte das „sicher“. Ja, auch Massenmörder können Bohrmaschinen besitzen – vielleicht vor allem die?)
Ich gebe meine Straße ein und es erscheint allerlei, was in meiner Nachbarschaft angeboten wird: vom „süßen Schlafsack“ über Katzensitting (womit hoffentlich das Aufpassen gemeint ist, nicht das Sitzen) bis zur – juhu! – Bohrmaschine! „Alexandraengland“ hat eine und verleiht sie (bei Bedarf auch Wasserwaagen und Maulschlüssel). Ich klicke auf den „Anfragen“-Knopf, die Ernüchterung folgt prompt: „Alexandraengland“ wohnt zwar nicht in England, aber 250 Kilometer und 179 Meter von mir entfernt. Nachbarschaft versteht man bei wir.de offenbar recht großflächig.
Ein letzter Versuch: frents.com hat Bohrmaschinen. „Sven“ wohnt zwar nicht direkt um die Ecke, aber was mich am meisten stört, ist, dass er satte 25 Euro für das Leihen seiner Maschine haben will. „Jan12“ ist nicht so gierig, er verleiht sie für einen Euro pro Tag. Einen Euro pro Tag! Hätte ich das damals meinen Mitbewohnern gesagt, ich wäre zum Spott der ganzen WG geworden. Das ist die Kehrseite der Sharing Economy: Es gibt noch Preisschilder. Sie kleben jetzt auf den Gefälligkeiten statt auf der Ware.
Airbnb und Uber stehen exemplarisch für diese Kapitalisierung der Gemeinschaft, die der Philosoph Byung-Chul Han in der Süddeutschen Zeitung kritisiert hat. Airbnb ökonomisiere Gastfreundschaft, so Han, „es ist keine zweckfreie Freundlichkeit mehr möglich“. Letzten Endes führe die Sharing-Ökonomie zu einer Totalkommerzialisierung des Lebens.
Aber es gibt Gegenbeispiele: Couchsurfing ist kostenlos. Essen teilen über Foodsharing.de auch. Und zur Erinnerung: Fragen – ohne .de – kostet auch nichts. Genau das werde ich jetzt bei meinem Nachbarn tun.