Überfälliger Klim(m)zug
Kühler Kopf trotz heißer Tage
Schwitzen ist gesund – das gilt für die Mehrzahl der Menschen in der Sauna zumindest. Tagelange Extremhitze in Großstädten sorgt dagegen meist nicht für Wohlbefinden, sondern ist ein Risiko für eine alternde Gesellschaft. Ein telemedizinbasiertes Frühwarnsystem könnte alte und pflegebedürftige Menschen besser schützen.
Wilfried Endlicher hat kein klimatisiertes Büro. Und auch in seiner Wohnung in Berlin-Steglitz, wo er in der 15. Etage der Sonne ein Stück näher ist, kommt er bisher noch ohne eine Klimaanlage aus. Seine Untersuchungen zu den Folgen des Klimawandels, insbesondere die Gefahr durch häufigere und auch dramatischere Hitzewellen in Ballungsräumen treiben dem Klimatologen allerdings kleine Schweißperlen auf die Stirn. 70.000 zusätzliche Todesopfer hat die Hitzewelle 2003 in ganz Europa gefordert. „Das ist die größte europäische Naturkatastrophe seit dem 14. Jahrhundert“, betont Endlicher, der am Geographischen Institut der Humboldt-Universität nach Anpassungsstrategien für solche Extremereignisse sucht. Allerdings kam Berlin da noch verhältnismäßig glimpflich davon. Im Jahrhundertsommer 1994 dagegen stieg die Sterblichkeitsrate in der Hauptstadtmetropole um das Vierfache. Vor allem alte, kranke und pflegebedürftige Menschen sind dem thermischen Stress nicht gewachsen, sie benötigen Unterstützung.
Alarmsystem bei Extremhitze
Gemeinsam mit Wissenschaftlern der Berliner Charité und des Potsdam-Instituts für Klimaforschung will Endlicher deshalb ein personenbezogenes Fernwarnsystem an risikobehafteten Bevölkerungsgruppen entwickeln. Dazu werden Patienten mit chronischen Lungen- oder Herzkreislauferkrankungen an ein Telekommunikationssystem angeschlossen, das neben medizinischen Daten simultan auch relevante Wetter- und Luftqualitätsdaten übermittelt. Konkrete Handlungsanweisungen, beispielsweise eine veränderte Dosierung von Medikamenten oder das Verlassen überhitzter Räume, soll Betroffenen somit zukünftig auch bei Klima- und Luftbelastungen die Arbeitsfähigkeit erhalten und Notfallbehandlungen senken.
Das Vorhaben ist eins von 30 Teilprojekten im Innovationsnetzwerk Klimaanpassung der Region Brandenburg-Berlin, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über die Fördermaßnahme KLIMZUG finanziert wird. Denn nur durch einen erfolgreichen Klimaschutz ist eine kurzfristige Minderung der zu erwartenden Klimaänderungen nicht möglich. Klimaanpassungen müssen daher zeitnah in regionale Planungs- und Entwicklungsprozesse integriert werden. Einfache Maßnahmen für Berlin z.B. sind auch über mehr begrünte und beschattete Flächen nachzudenken, Wasserflächen einzubinden und klimafreundliche Techniken zur Gebäudeklimatisierung anzuwenden. Am 23. Juli geht KLIMZUG an den Start. Es hilft nicht nur Endlicher einen kühlen Kopf zu bewahren.
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