Vertretung statt Unterrichtsausfall
Das Start-up LehrCraft will mit seinem Vermittlungsportal helfen, Personalnot an Schulen zu lindern und Unterrichtsausfall zu verringern
„Warum sind Lehrkräfte wie Wolken? Wenn sie verschwinden, kann der Tag nur besser werden.“ Derartige Witze gibt es wie Sand am Meer. Doch was, wenn sie wirklich weg sind, wenn der Unterricht nicht mehr sichergestellt werden kann? Die Ursachen für den Lehrkräftemangel sind vielfältig: Überalterung, fehlender Nachwuchs, Teilzeitregelungen. Das studentische Start-up LehrCraft will mit seinem Vermittlungsportal helfen, die Personalnot an Schulen zu lindern und Unterrichtsausfall zu verringern.
Ihr Erweckungserlebnis hatte Emily Boybay während eines Praktikums an einer Schule. Die Lehrerin meldet sich morgens krank, die Klasse wird mit einer anderen zusammengelegt: 40 Kinder in einem Raum, Sommer, 35 Grad. Keine idealen Bedingungen für erfolgreichen Schulunterricht, aber nicht ungewöhnlich an Berliner Schulen. „Ich mach’ das schon“, sagt die 24-Jährige, die demnächst ihr Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin (FU) abschließen will, und übernimmt das Kommando. Prompt bekommt sie ein Jobangebot von der verzweifelten Direktorin.
Auch Maria Strauß staunte nicht schlecht, als sie sich näher mit den Zuständen an Berliner Schulen befasste. Die eigene Schulzeit verbrachte die Physikstudentin, die die technische Betreuung und Programmierung des LehrCraft-Portals übernommen hat, im behüteten Umfeld einer konfessionellen, halbprivaten Schule in Bayern. Sie schaut „ungläubig“ auf die Berliner Verhältnisse, die Recherche für die LehrCraft-Geschäftsidee empfand sie als „Realitätsklatsche“. Dritter im Bunde der „Schulretter:innen“ von LehrCraft ist Manuel Wenzel. Der 21-Jährige hält im Marketing, in der Organisation und bei den Finanzen die Fäden in der Hand.
Begegnet sind sich die drei beim Funpreneur-Wettbewerb, bei dem es darum geht, den Unternehmergeist der Studierenden zu wecken und sie zu ermutigen, ein eigenes studentisches Unternehmen zu gründen. An der disziplinübergreifenden Lehrveranstaltung in der Startup Villa der FU können Bachelor-Studierende aus allen Studienrichtungen teilnehmen.
Schnell formulieren die drei ihre Geschäftsidee: Lehrkräftemangel ist nicht nur in Berlin ein ernsthaftes Problem. Für das Schuljahr 2024/2025 fehlen schätzungsweise 24.000 Lehrerinnen und Lehrer deutschlandweit, was den regulären Schulbetrieb erheblich beeinträchtigt. Besonders betroffen sind Gemeinschaftsschulen und Schulen in sozialen Brennpunkten, wo der Unterrichtsausfall häufiger und intensiver ist. Die Ursachen sind komplex und vielschichtig, doch innovative Lösungen wie die des Start-ups LehrCraft bieten einen neuen Ansatz, um die Krise zu mildern. Während die Berliner Politik mit Quereinsteiger:innen und Anreizen für Vollzeitarbeit versucht, den Mangel zu lindern, soll das LehrCraft-Modell die dringend benötigte Flexibilität bieten, um Unterrichtsausfälle mit Studierenden zu schließen.
LehrCraft, erklärt Emily Boybay, ist als sogenannte Arbeitnehmerüberlassung – eine Art Arbeitskräfteverleih – angelegt. Über das LehrCraft-Portal können sich interessierte Studierende, vorzugsweise Lehramtsstudentinnen und -studenten, registrieren, um als Vertretung den Unterrichtsausfall zu lindern. „Aber auch um in die Praxis zu schnuppern oder Erfahrungen zu sammeln.“ Unerlässlich ist ein polizeiliches Führungszeugnis für Bewerber:innen. Zudem müssen die Studierenden diverse Schulungen, meist per Videokurs, absolvieren. Schulen wiederum veröffentlichen auf dem Portal ihren Bedarf an Vertretungsstunden. Im Idealfall findet sich ein Match.
„Megaidee! Das hören wir oft“, erklärt Maria Strauß. Das Echo sei riesig, der Weg in die Direktionssekretariate manchmal aber steinig. Denn die Schulen seien im Tagesgeschäft oft so überlastet, dass sie kaum Zeit für einen Termin mit LehrCraft finden.
„Wir müssen es für die Schulen noch leichter machen“, erklärt Emily Boybay. Gerade habe das Team die regulatorischen Anforderungen der Agentur für Arbeit umgesetzt, die Bearbeitung dauere aber „drei bis fünf Monate“.
Rico Bigelmann für POTENZIAL