Warum Start-ups Öffentlichkeitsarbeit ernst nehmen sollten
Stefan Asche von VDI nachrichten gibt im CHIC!-Interview Tipps und erklärt, wie Start-ups von Ihrer Medienarbeit profitieren
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit ist für die meisten Start-ups Neuland. Oft bleibt sie neben den vielen anderen Aufgaben liegen. Dabei können Medienberichte sehr wertvoll werden. Ein Firmenportrait oder Interview zur rechten Zeit bewirkt oft Multiplikatoreffekte: statt auf der Suche nach Pilotkundschaft oder Wagniskapital Klinken putzen zu müssen, können Start-ups auf einen Schlag viel Aufmerksamkeit auf sich lenken. Im Interview erläutert Stefan Asche, der als Redakteur der VDI nachrichten seit 25 Jahren Start-up-Portraits betreut, worauf bei der Pressearbeit zu achten ist.
Herr Asche, wie viele Start-up-Portraits haben Sie bisher veröffentlicht?
Da muss ich kurz nachdenken. Also die Portraits erschienen viele Jahre lang wöchentlich; mittlerweile alle zwei Wochen. Ich mache das seit ziemlich genau 25 Jahren. Grob überschlagen müssten wir inzwischen gut 1.000 Technologie-Start-ups im Text und Bild portraitiert haben.
Wenn Sie an diese 25 Jahre und 1.000 Artikel zurückdenken: Hat sich die Szene in diesem Zeitraum verändert?
Massiv! Die ersten Elevator-Pitches, die ich Ende der 1990er Jahre besucht habe, waren geprägt von deutschem Over-Engineering. Die Gründungsteams waren topfit in ihrer Technologie und haben ihre Entwicklungen bis ins Detail erklärt – und oft ratlose Blicke geerntet. Heute laufen Pitches ganz anders: Die Teams stellen ein Problem dar, erklären, wie ihre Idee zur Lösung beiträgt und welches Marktpotenzial darin liegt. All das, ohne sich in technischen Details zu verheddern. Sie liefern nutzwertige Informationen, mit denen Investierende auf Anhieb etwas anfangen können. Denn die interessieren sich für das Potenzial einer Geschäftsidee, nicht für die – zugegeben oft faszinierende – technische Umsetzung. Genau das ist übrigens bei der Öffentlichkeits- und Pressearbeit zu beachten. Es geht um klare und vor allem nutzwertige Information!
Womit wir beim Thema wären. Was macht gute Pressearbeit aus – und welche Fehler sollten Gründungsteams unbedingt vermeiden?
Jedes Start-ups betritt naturgemäß Neuland, wenn sich die Presse zum ersten Mal meldet. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass es dann wegen der Fülle an Aufgaben bei zugleich unausgereiften Unternehmensstrukturen teils etwas turbulent zugeht. Für sie ist ja Alles neu. Sie müssen häufig erst lernen, unternehmerisch zu handeln, gleichzeitig ihre Geschäftsidee zum marktreifen Produkt oder Service entwickeln, eigene Vertriebswege und Partnerschaften aufbauen, Einstellungen vornehmen, Teams führen, betriebswirtschaftliche Aufgaben erfüllen und sich parallel frühzeitig um Kontakt zu Business Angels und Venture-Capital-Unternehmen bemühen – aber...
…aber?
Ehrlich gesagt verstehe ich oft nicht, wie Teams mit Presseanfragen umgehen. Und erst recht verstehe ich nicht, wie unterbelichtet das Thema Pressearbeit bei Investierenden und auch bei Gründungsberatungen zu sein scheint, die es doch eigentlich durch ihre langjährige Praxis besser wissen müssten.
Was genau müssten sie wissen?
Es gibt einige wenige Grundregeln, die gar nicht schwer zu erfüllen sind. Das beginnt mit der Erreichbarkeit. Auf der Webseite müssen eine Telefonnummer und eine Mailadresse zu finden sein, an die Presseleute sich wenden können. Medien denken in ganz anderen zeitlichen Zyklen. Wenn es ein Portrait für die nächste Ausgabe braucht, fällt die Entscheidung für oder gegen ein Start-up binnen Minuten. Ist keine presseverantwortliche Person benannt oder reagiert sie nicht umgehend auf Anfragen, ist die Chance vertan. Daher ist es sinnvoll, eine Stellvertreterin oder einen Stellvertreter anzugeben. Ebenso wichtig sind gute Fotos. Hier wird es regelmäßig – völlig unnötig – kompliziert. Erste Regel: Start-ups sollten auf ihren Webseiten ansprechende, professionell gemachte Fotos zum Download anbieten. Denn wenn wir als Redaktion nach Kandidaten für ein Start-up-Portrait suchen, ist das ein entscheidendes Kriterium. Stellen Sie sich eine Zeitung, ein Magazin oder auch ein Webportal ohne Bilder vor! – Das Auge isst mit. Darum sollte es ein Set an Fotos geben: Einzelportraits der Gründenden, mindestens ein ansprechendes Teamfoto und außerdem Fotos, die die Gründenden mit ihrem Produkt, im Labor oder in der Werkstatt zeigen. Im besten Fall wird auf den ersten Blick klar, womit sich das Start-up befasst. Das Bild sollte die Kerninformation rüberbringen.
Ist das nicht zu viel verlangt?
Nein. Im stressigen Redaktionsalltag – bei uns und in anderen Redaktionen – sind professionelle Fotos oft das Zünglein an der Waage. Wenn zwei oder drei Teams in der engeren Auswahl sind, dann portraitieren wir im Zweifel das, bei dem die Fotofrage geklärt ist. Wie oft haben wir in den letzten 25 Jahren von Teams die Zusagen bekommen, dass sie Fotos schicken – und standen dann kurz vor Redaktionsschluss mit völlig unterbelichteten, unscharfen Bildern da, die auch von der Auflösung her gar nicht gingen. Da dann noch eine Lösung zu finden, ist für alle Beteiligten Stress pur. Übrigens: Gute Bilder allein tun es nicht. Es braucht auch passende Bildunterschriften. Wer ist abgebildet – und was macht die Person gerade. In einem kurzen, prägnanten Satz. Außerdem braucht es unbedingt eine Copyright-Angabe! Wenn wir Fotos mit ungeklärten Bildrechten drucken, kann es für Verlage sehr teuer werden. Das machen sich die Teams oft nicht klar.
Was gibt es noch zu beachten?
Die inhaltliche Abstimmung! Sie ist im Prinzip nicht so kompliziert, führt aber in vielen Fällen zu Unstimmigkeiten. Ist ein Portrait zu Papier gebracht, schicken wir es den Teams zum fachlich-sachlichen Check zu. Interviewte haben sogar ein Anrecht, Wortlautinterviews zu autorisieren. Das ist aber keine Einladung, die Texte nach eigenem Gusto umzuschreiben und sie mit Marketingfloskeln zu „bereichern“. Es handelt sich um redaktionelle Texte, die in der Regel sehr viel glaubwürdiger auf die Lesenden wirken als PR-lastige Pressemitteilungen oder bezahlte Advertorials. Auch verhält es sich so, wie mit den 80 Millionen Bundestrainern während der Fußball-WM. Weil wir in der Schule alle gelernt haben zu schreiben, können wir es nicht alle gleich gut. Journalistinnen und Journalisten haben klare Zeichenvorgaben vom Layout, formulieren kurz und prägnant, verwenden aktive statt passive Formulierungen und vieles mehr. Es ist immer wieder verwunderlich, mit welcher Chuzpe sich Fachfremde über die Texte her machen – und dabei in neun von zehn Fällen verunstalten.
Wie geht es richtig?
Ein Faktencheck genügt. Wenn wir etwas falsch darstellen, lassen Sie es uns wissen. Keine Redaktion möchte Fehler veröffentlichen. Wichtig: lassen Sie es uns schnell wissen! Die Frequenz in Redaktionen ist sehr hoch. Eine Freigabe sollte nur in absoluten Ausnahmefällen länger als 24 Stunden dauern – und in solchen Fälle muss das klar kommuniziert sein. Damit es in diesem Zeitraum funktioniert, sind klare Verantwortlichkeiten gefragt. Auch wenn der Artikel von mehreren Personen im Team gegengecheckt wird, erwarte ich als Redakteur eine konsolidierte Textversion, in der alle Korrekturvorschläge aller Beteiligten zusammengefasst sind. Es kommt vor, dass Antworten eines Teams nach und nach eintröpfeln und sich zudem noch widersprechen. Wie soll eine Redaktion damit umgehen, wenn ein Team mit gespaltener Zunge spricht? Fazit: Eine Person muss den Abstimmungsprozess koordinieren und konsolidieren.
Was haben Start-ups davon, diese Mühen auf sich zu nehmen?
Ich habe eingangs erwähnt, dass ich Teams und ihr Umfeld oft nicht verstehe. Wir hatten gerade wieder einen Fall, wo mir ein Gründer abgesagt hat, weil er in den nächsten Wochen keine Zeit habe. Aber der zeitliche Aufwand für so ein Portrait beträgt 45 Minuten für das Interview und ein bis zwei Stunden für die Abstimmung. Fotos sollte es ja bereits geben. Was ist der Gegenwert für diese zwei bis drei Stunden? – Ein ganzseitiges Start-up-Portrait. In unserem Blatt erreichen Teams damit jede Menge Business Angels und VC-Firmen, die teils seit Jahrzehnten mit uns in Verbindung stehen, zudem Institutionen wie den Hightech-Gründerfonds oder die KfW und natürlich eine aufgeschlossene und meist solvente Leserinnen- und Leserschaft aus dem Ingenieurwesen. Sie arbeiten in F&E- und Konstruktionsabteilungen und an entscheidenden Stellen kleiner und mittlerer Unternehmen sowie Konzerne, die sowohl als Kunden in Frage kommen als auch für Entwicklungs- oder strategische Partnerschaften. Wir bekommen von portraitierten Start-ups immer wieder die Rückmeldung, dass infolge der Veröffentlichung wichtige Kundenkontakte, Kooperationen und teils auch Finanzierungen zustande gekommen sind.
Lässt sich der ökonomische Wert eines solchen Portraits bemessen?
Eine ganzseitige Anzeige kostet einen mittleren fünfstelligen Betrag, hat aber mitnichten die Glaubwürdigkeit eines redaktionell verfassten Artikels. Wenn ich das auf zwei bis drei Stunden Arbeitsaufwand sowie die Investition in passable Fotos herunterbreche – und die beschriebenen Multiplikatoreffekte von Augen führe, dann würde ich es mir als Start-up sehr genau überlegen, ob ich wirklich keine Zeit dafür habe. Und hätte ich in ein junges Unternehmen investiert, das so eine Chance leichtfertig ausschlägt, dann würde ich mein Investment ganz sicher überdenken. Denn dieses Maß an Sichtbarkeit vor einer passgenauen Zielgruppe aus vermögenden Fachleuten wird kein Team erreichen, indem es Klinken bei Unternehmen und Banken putzt oder von Pitch zu Pitch zieht. Es ist also gut investierte Zeit, sich als Start-up professionell auf Medienanfragen vorzubereiten. Wenn sie dabei wie beschrieben vorgehen, dass kann das im wahrsten Sinne des Wortes eine runde Geschichte werden!
Zur Person: Als Redakteur der VDI nachrichten hat Stefan Asche in den letzten 25 Jahren gut 1.000 Start-up-Portraits veröffentlicht. Dabei hat er es oft erlebt, dass sich Gründungsteams ebenso wie ihr beratendes und investierendes Umfeld mit dem Thema Öffentlichkeitsarbeit schwertun. Im Interview gibt er darum konkrete Tipps, wie sich Medienkontakte erfolgreich gestalten lassen.