Wie in den Händen der Eltern
Was Benjamin Pardowitz und Maria Enge entwickelt haben, erinnert ein wenig an Stützräder für Kinder – jedoch nicht zum Fahrradfahren, sondern zum Gehen
Seit 2021 arbeiten Maschinenbauer Benjamin Pardowitz und Elektrotechnikerin Maria Enge daran, ihren großen Traum wahr werden zu lassen: Sie wollen Kindern mit körperlichen Einschränkungen mehr Aktivität und Freude an Bewegung ermöglichen. Alles begann, als Benjamins Nichte das Licht der Welt erblickte. Sie wurde mit Zerebralparese geboren, einer der häufigsten Behinderungen im Kindesalter. Als Unterstützung bekommen die Kinder eine Art Rollator. Ein Rohrgestell mit vier Rollen drunter. So wird jede Bodenunebenheit zum Hindernis. Die Eigenständigkeit ist eingeschränkt. „Ein abgesenkter Bordstein, eine Türschwelle oder Kopfsteinpflaster – immer ist ein Elternteil oder eine Betreuungsperson nötig, um die Kinder von A nach B bewegen zu können“, sagt Benjamin. „Im Gras herumzulaufen, funktioniert damit überhaupt nicht.“ Das wollte der Ingenieur nicht einfach so hinnehmen. „Ich meine, autonomes Fahren ist Realität und diese Kids kommen nicht über eine Berliner Altbautürschwelle? Da dachte ich, es muss deutlich bessere Lösungen geben, und habe den ersten Prototyp gebaut.“
Die Grundidee ist so einfach wie genial: eine Kombination von einem Segway mit einem Rollator. Hinter dem Kind hängt an einem Gurt um Brust und Hüfte ein Gestell mit elektrisch angetriebenen Rädern. „Unser Trick ist die Steuerung“, erklärt Benjamin. „Die Kinder brauchen keinen Joystick oder Schalter, um die Geschwindigkeit vorzugeben. Sie steuern stattdessen mit ihrer Intentionsbewegung.“ Das heißt, sie deuten mit ihrem Oberkörper an, wohin sie gehen möchten, und das Gerät folgt automatisch. Inspiriert haben ihn dazu die Eltern. „Die halten ihre Kinder normalerweise von hinten am Oberkörper aufrecht und folgen automatisch allen Bewegungen“, erklärt er. „Das macht das Elternteil aber vielleicht 30 Minuten am Stück. Dann schmerzt der Rücken und das Kind wird zurück in den Rollstuhl gesetzt.“ Die Unterstützung von hinten hat einen großen Vorteil: Die Kinder haben ihre Hände frei. Sie können sich auch auf- und abbewegen, sich bücken, um einen Hund zu streicheln oder im Sand zu buddeln, und auch wieder alleine aufstehen. „Das ist etwas, das bisherige Gehhilfen nicht ermöglichen“, sagt Benjamin stolz.
Den ersten Menschen, den er mit seiner Idee überzeugen konnte, war Maria Enge. Sie kannten sich von Fachtagungen und haben schon des Öfteren über Gründungsideen gesprochen. „Es war aber nie etwas dabei, für das ich meinen Job hätte aufgeben wollen“, sagt Maria. „Doch als Benjamin dann mit dem Prototyp für seine Nichte kam, war die Entscheidung für mich relativ schnell klar. Ich wollte den Kindern ein Grundbedürfnis ermöglichen, ihnen mehr Lebensqualität geben und sie eigenständig und beim Laufen strahlen sehen.“
Das war 2021. Beide hängten ihre Jobs an den Nagel und knieten sich in die Arbeit. „Wir haben das Projekt im Rahmen des Berliner Start-up Stipendiums begonnen und wurden durch die Charité Universitätsmedizin Berlin betreut“, erzählt Benjamin. „Für uns war wichtig, dass wir etwas bauen, das wirklich einen medizinischen Mehrwert für unsere Zielgruppe hat.“ Es folgte das EXIST-Gründerstipendium und 2022 war RooWalk offiziell gegründet. Ihr Büro haben die beiden in der Startup Villa der Freien Universität Berlin bezogen. Der Prototyp wird noch – ganz Garagen-Start-up-like – in den heimischen vier Wänden zusammengeschraubt. Doch das soll sich demnächst ändern: „Wir sind auf der Suche nach Werkstattfläche, um unseren Prototyp weiterzuentwickeln“, erklärt Benjamin. „Ein Medizinprodukt zu entwickeln, zu zertifizieren und auf den Markt zu bringen, dauert ziemlich lange“, sagt Maria. „Deshalb ist auch die Finanzierung ein großes Thema.“
Kai Dürfeld für POTENZIAL