Wie korrekt ist Physik im Film?
„Solange der Film in seiner eigenen Logik bleibt, akzeptiere ich andere Theorien“, meint Çiğdem İşsever von der HU Berlin
Wenn Physik in Filmen vorkommt, ist Vorsicht geboten, weiß Çiğdem İşsever. An der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) widmet sie sich im Adlershofer Lise-Meitner-Haus den Grundlagen der Teilchenphysik.
Fakt und Fiktion werden in Unterhaltungsformaten gerne miteinander vermischt. „Ghostbusters“ fangen bereits seit Anfang der 80er Jahre Geister mittels Protonenpaket ein, in der Sitcom „The Big Bang Theory“ (2007 bis 2019) plaudern Sheldon Cooper und seine Freunde über physikalische Theorien und im filmpreisnominierten Multiversum-Thriller „Die Theorie von Allem“ (2023) ergründet ein Physiker die Weltformel.
Die Physikprofessorin Çiğdem İşsever ist mittendrin in der Welt der Elementarteilchen. Ihr Spezialgebiet: die Erforschung des Higgs-Mechanismus, der Elementarteilchen ihre Massen gibt, ohne die mathematische Konsistenz des Standardmodells der Teilchenphysik zu brechen. Seit 2004 forscht sie außerdem am ATLAS-Experiment des Speicherrings Large Hadron Collider (LHC) CERN, dem weltweit größten Forschungszentrum für Teilchenphysik in der Nähe von Genf.
Auch der Verschwörungsthriller „Illuminati“ (2009) spielt am CERN. Allerdings werden, so İşsever, nicht nur die Laborbedingungen falsch dargestellt, sondern auch der Stand der Wissenschaft. In Ron Howards Verfilmung entwendet ein Dieb einen Zylinder, der ein Viertel Gramm Antimaterie enthält. „Um so viel Antimaterie herzustellen, bräuchten wir nach dem aktuellen Forschungsstand mehrere Milliarden Jahre“, so İşsever. Zum Vergleich: Das Universum existiert seit knapp 14 Milliarden Jahren. Antimaterie ist auch nur für eine kurze Zeit verfügbar. Seit 2011 können Antihydrogenatome am CERN beispielsweise für 16 Minuten gespeichert werden.
Die kurze Speicherdauer hängt mit der Menge an Energie zusammen, die aufgewendet werden muss, um Antimaterie und Materie voneinander getrennt zu halten, erklärt die Professorin.
Geladene Teilchen brauchen starke elektromagnetische Felder, damit ihre Position im Behälter stabil bleibt: „Im Film genügt die Energie einer Batterie, um die Antimaterie von der Materie fernzuhalten. Das ist nicht realistisch. Viel mehr Energie wäre nötig.“ İşsever hat für eine Problematik wie diese einen versöhnlichen Vorschlag: „Solange der Film in seiner eigenen Logik bleibt, akzeptiere ich die im Film erschaffene Welt. Ansonsten könnte ich viele Filme gar nicht genießen und mich auf sie einlassen.“
Immerhin habe Schriftsteller Dan Brown die Reaktion von Antimaterie mit Materie richtig beschrieben. Sobald die Antimaterie die Wände vom Behälter (Materie) berührt, würden sich Materie und Antimaterie größtenteils zu Photonen (Lichtteilchen) annihilieren. Die Energie, die dabei freigesetzt wird, können wir mithilfe von Einsteins Formel E=mc2, die die Energie-Masse-Äquivalenz beschreibt, berechnen. Masse (m) und Energie (E) sind über die Proportionalitätskonstante, der Lichtgeschwindigkeit zum Quadrat (c2), miteinander verbunden. Um die Energie, die in einer gewissen Masse steckt, zu kalkulieren, wird Masse mit c2 multipliziert.
Die Sprengkraft wäre bei „Illuminati“, wo Vatikanstadt und ganz Rom bedroht werden, enorm. Konkret spricht die Wissenschaftlerin im Film von einer „grellen Explosion mit der Kraft von fünf Kilotonnen“; die zwei Atombomben, die 1945 abgeworfen wurden, hatten einen Detonationswert von 12,5 Kilotonnen (Hiroshima) und 21 Kilotonnen (Nagasaki).
Im oscarprämierten Drama „Oppenheimer“ stellt Regisseur Christopher Nolan aus der Sicht von Physiker Robert J. Oppenheimer die wichtigsten physikalischen Erkenntnisse vor, die zum Bau der Atombombe führten. So gelingt Otto Hahn und Fritz Strassmann in Film und Wirklichkeit 1938 die Spaltung des Urankerns.
In einer fiktiven Szene äußert Oppenheimer gegenüber Albert Einstein beim militärischen Manhattan-Projekt in Los Alamos seine Bedenken vor dem Zünden der ersten Atombombe: „Neutronen spalten einen Atomkern und setzen Neutronen frei, die weitere Kerne spalten. Kritikalität. Unumkehrbarkeit. Massive Explosionskraft. Aber in diesem Fall hört die Kettenreaktion nicht auf.“ Aus Wissenschaftssicht sind diese Überlegungen haltlos, da Kernspaltungen in der Atombombe nur so lang möglich sind, wie genug spaltbares Material vorhanden ist.
Lise Meitner lieferte gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch als Erste die kernphysikalische Erklärung der Uranspaltung. Von Meitner ist im Film nicht die Rede, was İşsever zutiefst enttäuscht: „Sie hätte erwähnt werden müssen. Meitner war eine Expertin auf diesem Gebiet. Im Gegensatz zu Oppenheimer hatte sie sich gegen das Atomforschungsprojekt entschieden.“
Susanne Gietl für Adlershof Journal
Prof. Dr. Cigdem Issever — Experimentelle Elementarteilchenphysik (hu-berlin.de)