Aus Betroffenen Beteiligte machen: Wie steht’s um die Environmental, Social and Governance (ESG)-Maßnahmen @WISTA?
Ein Interview mit Magdalena Matheis und Stefan Bschorer
EU-Taxonomie, ESG-Auflagen, Berichtspflicht: Es sind Hunderte Seiten und zahlreiche Auflagen. “Bei den Scope 3-Emissionen stöhnen alle – auch ich”, sagt Magdalena Matheis. Die Nachhaltigkeitsmanagerin der WISTA kniet gerade über der Treibhausgasbilanz. Wichtig, um die WISTA ESG-fit zu machen. Parallel arbeitet ihr Kollege Stefan Bschorer im Team Innovation daran, den Wirtschaftsstandort Adlershof nachhaltiger zu gestalten.
Ein neues Thema sei die Klimafolgenanpassung für Adlershof, berichtet er. Denn: “Egal wie klimaneutral wir werden: Es kommt darauf an, wie wir uns auch an die Folgen des Klimawandels anpassen.” Die zentralen Fragen rund um ESG @WISTA lauten: Wo stehen wir? Wo wollen wir hin? Wie kommen wir dahin? Wie es läuft: Darüber sprechen die beiden im aktuellen Interview.
Magdalena und Stefan, Ihr seid bei der WISTA beide für das Thema Nachhaltigkeit zuständig: Stefan, Du vorrangig für Energieeffizienzthemen und Du, Magdalena, übergreifend für die Etablierung von Nachhaltigkeit als Unternehmenswert. Worüber grübelt Ihr aktuell?
Stefan Bschorer: Mich beschäftigt, wie wir die Energieverbräuche unserer Liegenschaften und Gewerbeimmobilien in Adlershof optimieren können. Dazu betrachte ich aktuell Multi-Energiesysteme, also das Zusammenspiel von Wärme, Kälte und Strom. Ziel ist, dass wir unsere Emissionen senken, erneuerbare Energien einbinden und klimaneutral arbeiten. Aber egal, wie klimaneutral wir werden: Es kommt zusätzlich darauf an, wie wir uns auch an die Folgen des Klimawandels anpassen. Das ist ein neues Fass, das wir hier aufmachen und mit dem ich mich auch befasse.
Was beschäftigt Dich gerade, Magdalena?
Magdalena Matheis: Wie ich unternehmerische Nachhaltigkeit als gelebte Unternehmenskultur implementieren kann. Wir haben ein Leitbild für unternehmerische Nachhaltigkeit entwickelt, das den Rahmen vorgibt. Dazu gehören unser Selbstverständnis von Nachhaltigkeit, welche Vision wir zu dem Thema haben, wie wir das erreichen wollen, an welchen Werten wir uns orientieren. Aktuell ist eine meiner Aufgaben, dieses Leitbild in eine gelebte Kultur umzuwandeln. Mich beschäftigt also konkret die Frage: Wie schärfe ich das Verständnis von Nachhaltigkeit bei meinen Kolleginnen und Kollegen? Wie vermittle ich es so, dass das Thema bei allen präsent ist?
Was ist das übergeordnete Ziel Deiner Aufgabe, Magdalena?
MM: Dass wir uns alle perspektivisch nachhaltig verhalten und positionieren. Seit ich die Aufgabe übernommen habe, war mir wichtig, dass wir das Thema Nachhaltigkeit als einen unserer Werte, als Teil unserer Kultur verstehen. Durch das weite Aufgabenfeld wurde relativ schnell klar, dass die Unterstützung und Beteiligung von Kolleginnen und Kollegen dabei unerlässlich ist.
Was braucht Ihr, um Eure Aufgaben zu lösen?
SB: Ich brauche Energiedaten: die Energieverbräuche der Gebäude. Je mehr Energiedaten, je detaillierter, umso besser. Optimal wären Lastverläufe über mehrere Jahre, also der gesamte Wärmeverbrauch eines Gebäudes, der gesamte Stromverbrauch. Im Detail wäre es gut zu wissen, wofür die Energie verwendet wurde: Wärme für die Heizungen der Büros etwa? Energie für die Produktion? Oder Kälte für Klimatisierung oder Prozesskühlung? Auch interessant für mich ist zu wissen, wann wie viel Strom gebraucht wird. Diese Informationen sind wichtig – auch fürs ESG-Reporting: So ein Summenwert pro Jahr reicht oft schon fürs ESG-Reporting, da hat man schon eine grobe Hausnummer. Für mich ist es aber noch spannender, einen Jahresverlauf zu haben, also stündliche Werte.
Was benötigst Du, Magdalena?
MM: Ich benötige die Unterstützung und Mitarbeit aller Kolleginnen und Kollegen. Unternehmerische Nachhaltigkeit, die wirkt, ist eine Gesamtanstrengung von allen Beteiligten. Das kann man nicht alleine machen. Dafür braucht es ein gemeinsames Verständnis. Und das muss erstmal entwickelt werden. Hat man eine gemeinsame Philosophie, wird es einfacher die gesteckten Ziele zu erreichen.
Das klingt erstmal, als sei es freiwillig. Ist es auch so? Denn wenn wir uns gesellschaftliche, ökologische, wirtschaftliche und politische Ziele ansehen, ist ESG doch zur Grundfeste avanciert. Es gibt Gesetze, die die Erreichung der ESG-Ziele auch vorgeben. Haben wir noch eine Wahl?
MM: Es gibt Aspekte, um die wir nicht drumherum kommen, das stimmt. Wir sind gesetzlich zur Erreichung gewisser ESG-Ziele verpflichtet. Gegebenenfalls haben wir auch Nachteile, wenn wir sie nicht erreichen, erhalten beispielsweise keine Förder- oder Kreditmittel. Aber: Der Aspekt, Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur zu verankern, ist aktuell noch freiwillig.
Welchen Effekt hat das?
MM: Studien sagen, dass die unternehmerische Verantwortung, insbesondere im Bereich Ökologie, noch keinen ausreichenden Impact hat – eben, weil der kulturelle Wandel eines Unternehmens freiwillig ist. Die kulturelle Veränderung eines Unternehmens ist aber einer der entscheidenden Bausteine, um wirklich etwas zu bewegen. Aus diesem Grund habe ich den Fokus bei WISTA auch darauf gesetzt, dass Nachhaltigkeit zu unserem Leitbild gehört.
Stefan, worauf hast Du den Fokus bei der Lösung Deiner Aufgaben gelegt?
SB: Weil das ESG-Reporting inzwischen Pflicht ist, liegt klar auch ein Fokus darauf – und das machen wir auch: Ein Bericht ist auch relativ schnell einmal im Jahr aufgesetzt und wird dann veröffentlicht. Aber was dann? Mir ist wichtig, Ergebnisse zu sehen. Ich habe deswegen meinen Fokus auf Entwicklung und Fortschritt gelegt. Ich denke, diese Motivation teile ich mir mit Magdalena: Wir wollen, wenn schon nicht die ganze Welt, dann doch zumindest das Unternehmen, in dem wir arbeiten, ESG-technisch besser aufstellen.
MM: Ja, und da spielt absolut mit rein, dass uns eine intrinsische Motivation treibt: Wir machen das nicht, weil wir es müssen, sondern weil wir etwas verändern wollen. Sowohl für unsere Organisation als auch perspektivisch für den Wirtschaftsstandort Adlershof.
SB: Als Standortbetreiber tragen wir auch Verantwortung. Hier liegt ein weiterer Fokus: Wir müssen Vorbild sein, die Zielwerte vorleben, vorangehen, nach Lösungen forschen und sie allen im Unternehmen anbieten.
Was ist an dieser Aufgabe besonders herausfordernd – generell und speziell? Und was braucht Ihr, um Eure Aufgabe zu lösen?
SB: Für die Lösung meiner Aufgabe ist es elementar, eine gute Datenbasis zu haben. An die heranzukommen ist aber gleichzeitig die Schwierigkeit: Denn detaillierte Verbrauchsdaten sind ja teilweise schon vorhanden, dann aber analog, abgelegt in irgendeiner Tabelle und keiner weiß, wo genau. Ich benötige verlässliche Daten, um die exakten Verbräuche und auch Bedarfe des Standorts festzustellen. Habe ich sie, kann ich auch Potenziale erkennen und Lösungen entwickeln. Deswegen bin ich auf die Mitarbeit aller angewiesen.
MM: Das ist bei mir ähnlich: Meine Aufgabe besteht auf der einen Seite aus Wissenstransfer und Überzeugungsarbeit – teilweise muss ich erst ein Grundverständnis für unternehmerische Nachhaltigkeit schaffen und "Nachhaltigkeit" ist ein Buzzword, was oft auf Ablehnung stößt. Auf der anderen Seite erlebe ich auch den Anspruch, dass es mit der Umsetzung nachhaltiger Maßnahmen wesentlich schneller gehen muss. Diese unterschiedlichen Ansätze sind herausfordernd. Sie verlangen je nach Gruppe auch eine andere Ansprache.
Das bringt sicher auch psychologische Aspekte und kommunikative Skills mit sich. Welche Maßnahmen für Energieeffizienz wurden denn schon im Kiez getroffen, Stefan?
SB: Wir haben schon Energieverluste minimieren können und sind da auch weiter dran. Eine Maßnahme ist die Web-basierte Einzelraumregelung. Über die können Mitarbeiter:innen die Temperatur in ihren Büros von unterwegs steuern. Arbeiten sie beispielsweise im Homeoffice, können sie über ein Zeitprogramm Energie im Büro sparen. Für die 37 Gebäude der WISTA setzen wir außerdem für die Wärmeerzeugung verstärkt auf erneuerbare Energien: Unser Wärmeversorger, die BTB, erzeugt die Wärme zum einen über ein Holzhackschnitzel-Blockheizkraftwerk, zum anderen über eine Großwärmepumpe, die seit Sommer 2023 an der Spree läuft. Sie funktioniert über Strom und hat einen sehr hohen Wirkungsgrad.
Wie werden die Maßnahmen von den Mitarbeiter:innen angenommen?
SB: Es kommt darauf an, wie sehr sie von den Maßnahmen betroffen sind und wie sehr sie ihre Gewohnheiten umstellen müssen. Die Reaktionen fallen deswegen unterschiedlich aus. Um diesem gemischten Bild auf den Grund zu gehen, machen wir regelmäßig Umfragen, arbeiten die Kritikpunkte ab und bieten Lösungen an.
MM: Worüber Stefan berichtet, stellt sehr schön die Verzahnung unserer Themen dar: Energieeffizienz ist technischer Natur und nur ein Aspekt unternehmerischer Nachhaltigkeit. Und trotzdem zeigt sich schon an diesem einen Beispiel die Komplexität unternehmerischer Nachhaltigkeit: Sie ist technischer, gleichzeitig aber auch kultureller und soziale Natur.
Wie ermittelst Du bei dieser Komplexität die Prioritäten?
MM: Der erste Schritt war die Wesentlichkeitsanalyse. Darüber habe ich großflächig Themen in Workshops mit allen Bereichen und allen Organisationen gesammelt. Wir haben sämtliche Dimensionen der Nachhaltigkeit – "Umwelt, Soziales und Unternehmensführung" – beleuchtet und Themen gesammelt. Leitfragen waren beispielsweise: Welche unserer Geschäftstätigkeiten haben Einfluss auf Nachhaltigkeit? Welche politischen, wirtschaftlichen, ökologischen, gesellschaftlichen und auch technischen Einflüsse kommen auf uns zu? Danach haben wir nach Wichtigkeit und Impact priorisiert, Ziele abgeleitet, für deren Erreichung wir nun Umsetzungsmaßnahmen entwickeln.
Du nanntest gerade die Wesentlichkeitsanalyse als ersten Schritt im Gesamtprozess, Magdalena. Welche Think Tanks und Tools helfen Euch noch dabei, Eure Aufgaben zu lösen?
SB: In erster Linie hilft mein Team: Christoph Böttger und Evelyn Cimander arbeiten beispielsweise am Zukunftsprojekt „Digitaler Zwilling“. Das ist eine Datenplattform, in die die Energieflüsse des Technologieparks eingebunden werden. Der „Digitale Zwilling“ ist quasi ein softwarebasiertes Abbild des Quartiers. Die Kolleg:innen unserer Tochterfirma WISTA.Service helfen uns hier, die Zähler unserer Gebäude zu integrieren.
MM: Ich knie aktuell über der Treibhausgasbilanz. Bei den Scope 3-Emissionen stöhnen alle – auch ich. Als Nachhaltigkeitsmanagerin bin ich sehr froh, dass ich mir bei internen Teams wie Stefans und auch bei externen Expert:innen Rat holen kann.
Welche Erkenntnisse möchtet Ihr aus dem Prozess zu mehr unternehmerischer Nachhaltigkeit teilen?
MM: Denkt langfristig. Nachhaltigkeit kostet erstmal Zeit, Geld und Ressourcen. Das hält viele Unternehmen davon ab, überhaupt anzufangen. Man muss aber zunächst investieren – in Nachhaltigkeitsbeauftragte wie mich beispielsweise. Es braucht Zeit, um die Menschen mitzunehmen und es kostet auch Geld, um bestimmte Anschaffungen zu machen.
Macht aus Betroffenen Beteiligte: Ihr seid nicht allein in diesem Prozess. Animiert Eure Kolleginnen und Kollegen mitzumachen. Damit zeigen Unternehmen Wertschätzung, sie regen zur Selbstwirksamkeit an und ermöglichen Teilhabe. Damit kann mitunter eine Wechselwirkung erzielt werden – nicht nur für die ökologische Dimension, sondern auch für die kulturelle Dimension Eures Unternehmens.
Macht eine Bestandsaufnahme und entwickelt eine langfristige Strategie. Unternehmerische Nachhaltigkeit braucht eine langfristige Strategie. Die muss erst entwickelt werden. Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex hat mir dabei geholfen, den Status quo zu ermitteln. Danach konnten wir eine Vision, eine Strategie und ein Berichtswesen aufbauen. Damit sind wir schon sehr weit gekommen. Aktuell arbeiten wir daran, unsere Strategie ins Operative zu übersetzen.
Stefan, möchtest Du noch etwas aus dem Energiebereich ergänzen?
SB: Baut eine Datenbasis aus Euren Energieverbräuchen auf.
Die Datenerfassung und die Status quo-Ermittlung werdet Ihr auch fürs ESG-Reporting benötigen.
Überprüft, wofür Eure Energie draufgeht.
Wie viel Energie verbrauchen Eure Prozesse, Eure Produkte, Eure Büros? Macht Euch Euren Einfluss bewusst.
Stoßt kleine Veränderungen für einen größeren Beitrag an.
Für Eure Arbeit benötigt Ihr viel Licht? Setzt auf LEDs. Ihr habt alte Stromlieferverträge? Schaut, inwiefern Ihr sie durch Verträge mit Öko-Anbietern optimieren könnt.
Wovon wünscht Ihr Euch abschließend mehr?
MM: Ich wünsche mir, dass wir die kulturelle Veränderung schneller, aber einvernehmlich erreichen. Ich hätte gern eine Blaupause, eine Lösung dafür, dass wir nicht immer bei Null anfangen, sondern einen Weg finden können, über den wir allen Beteiligten das Thema Nachhaltigkeit schön, klein und einfach verpackt vermitteln können. Und ich wünsche mir, dass die Menschen – unabhängig von gesetzlich gesetzten Themen – die planetaren Gefahren anerkennen und sich freiwillig für Nachhaltigkeitsthemen engagieren.
SB: Ich wünsche mir weniger Zielkonflikte. Dass sich unternehmerische und ökologische Fortschritte nicht im Weg stehen. Und ich wünsche mir mehr Feedback zu Maßnahmen in Adlershof. Wir sind auf die Mithilfe aller angewiesen, um noch bessere, noch passendere Lösungen für alle zu entwickeln.
Vielen Dank für das Gespräch und Eure Insights.
Das Interview führte Despina Borelidis.
Kontakt:
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