Wissenschaft hat goldenen Boden
Über zwei Teams aus der Startup Villa Dahlem, die wissenschaftliche Erkenntnisse mittels KI in Produkte übersetzen
In der Startup Villa Dahlem führen die Teams der Nia Health GmbH und der GHOST- feel it. GmbH den Nachweis, dass neben dem Handwerk auch die Wissenschaft goldenen Boden hat. Die Start-ups haben Wurzeln an der Charité und arbeiten nun daran, dort gewonnene wissenschaftliche Erkenntnisse in Produkte zu übersetzen.
In der Komplexität des Alltags gehen viele Informationen unter. Dieses Problem adressieren die Teams der Nia Health GmbH und der GHOST-feel it. GmbH aus völlig unterschiedlichen Richtungen – und doch eint sie weit mehr als ihr Firmensitz in der Startup Villa Dahlem.
Nia hilft Neurodermitispatienten mit einer gleichnamigen App, die schubweise auftretende Erkrankung besser zu verstehen und den Ursachen der Schübe systematisch auf den Grund zu gehen. Die App ist als medizinisches Produkt zugelassen und basiere auf langjähriger wissenschaftlicher Arbeit von spezialisierten Hautärzten und Forschenden der Berliner Charité. Erste Krankenkassen übernehmen bereits die Kosten.
„Das hat dazu geführt, dass schon mehr als 7.000 Patienten unsere App nutzen“, berichtet Geschäftsführer Tobias Seidl. Die App basiere auf langjähriger wissenschaftlicher Arbeit von spezialisierten Hautärzten und Wissenschaftlern der Charité und erlaube es Patienten, ihren Krankheitsverlauf kontinuierlich anhand dermatologisch anerkannter Scores zu erfassen.
Seidl hat Nia Health 2018 mit dem heutigen Entwicklungschef Oliver Welter und der medizinischen Leiterin Reem Alneebari gegründet. Alneebari ist Dermatologin und als Mutter einer an Neurodermitis erkrankten Tochter selbst betroffen. Sie kennt die Nöte von Eltern, deren Kinder Tag und Nacht von juckenden Ekzemen gequält werden. Oft laufen sie in ihrer Not von Arzt zu Arzt, um ihren Kindern Linderung zu verschaffen.
Mit der Nia-App können sie ein systematisches Krankheitstagebuch führen, Schübe mit Fotos dokumentieren und behandelnden Ärzten so eine fundierte Basis für therapeutische Maßnahmen liefern. „Das ist wichtig, weil die Krankheitsverläufe sehr individuell sind und es unterschiedlichste Auslöser für Schübe gibt“, sagt Seidl. Ohne systematische Analyse gehen diese Auslöser im komplexen Alltag leicht unter. Hinzu kommt, dass viele Betroffene online Rat suchen und angesichts der Flut der verallgemeinerten Ratschläge für ihre individuelle Krankheit jegliche Orientierung verlieren.
Um Orientierung in komplexem Umfeld geht es auch den Gründerinnen der Ghost-feel it. GmbH. Etwa dort, wo die Aufmerksamkeit beim Autofahren vor lauter Anzeigen, Zahlen, Displays und Sprachinformation im Cockpit leidet. Aber auch dort, wo Insassen autonomer Fahrzeuge bei jeder Kurve und jedem Bremsmanöver nervös werden oder wenn Prothesentragende ohne den Tastsinn ihrer fehlenden Gliedmaßen auskommen müssen. Für solche Fälle entwickelt das Team eine Software, die einfache Vibrationssignale zu intelligentem, gezielt steuerbarem Feedback moduliert. Dafür übersetzen Laura Bücheler und Isabella Hillmer ihr neurowissenschaftliches sowie sensor- und medizintechnisches Know-how in intuitiv deutbare Vibrationssignale, denen eine eigene Semantik zugrunde liegt.
Mal übermitteln Autositze Hinweise des Navigationssystems oder sie kündigen autonome Kurvenfahrten und Bremsmanöver an. Mal leiten Prothesen Sensorinformationen in Form von elektrischen Impulsen an gesunde Körperteile um, die Patienten nach einer Lernphase intuitiv deuten können. Hersteller von Prothesen zeigen sich ebenso interessiert an dieser Technologie wie Automobilhersteller. Das Ghost-feel-it-Team hat sich bereits auf fünf Beschäftigte vergrößert, um seine IT-Kompetenzen zu verstärken. „Wir arbeiten nun an einer Softwareplattform, die Kunden den schnellen Einstieg ins Prototyping mit Hardware sowie die iterative Optimierung ihrer Vibrationsfeedbacksysteme ermöglicht“, so Bücheler. Mit Unterstützung ihres Mentors Tim Conrad, Bioinformatiker und Professor an der Freien Universität Berlin, loten sie außerdem das Potenzial von künstlicher Intelligenz für die Entwicklung intuitiv deutbarer Vibrationsmuster aus.
Künstliche Intelligenz (KI) bringt auch das Team von Nia Health in Stellung. In Zusammenarbeit mit ihrer Mentorin Doris Staab von der Charité transferieren die Gründenden deren jahrzehntelang aufgebautes Wissen zur Neurodermitis in KI-Algorithmen, die aus den Tagebucheinträgen und den Fotos von Ekzemen wichtige Informationen filtern sollen. „Unsere Vision ist es, dass solche Systeme Patienten künftig aktiv unterstützen und sie vor bevorstehenden Schüben warnen können“, sagt Seidl. Daneben arbeitet das Team daran, die Nia App international verfügbar zu machen. „Auch übertragen wir unser Know-how auf weitere Apps für ähnliche individuell verlaufende Krankheiten“, berichtet er. Eben erst habe man die nächste App, die Sorea-App für Patienten mit Psoriasis (Schuppenflechte), auf den Markt gebracht.
Beide Teams wachsen – und sehen auf dem Grundstück nebenan etwas wachsen: Gleich neben der Startup Villa wächst das neuen Dahlemer Technologie- und Gründungszentrum FUBIC aus dem Boden. Sobald es bezugsfertig ist, kann dort eine neue Gründergeneration den Nachweis führen, dass neben dem Handwerk längst auch die Wissenschaft goldenen Boden hat. Nia Health und GHOST- feel it. dürften bis dahin schon flügge sein.
Von Peter Trechow für Potenzial – Das WISTA-Magazin