Den Geduldigen gehört die Welt
Das Stehvermögen Adlershofer Unternehmer und Wissenschaftler
Kaum eine Stellenanzeige kommt ohne die Forderung nach „Durchhaltevermögen“ aus. Doch was bedeutet diese Eigenschaft in der Praxis? Ist sie der Schlüssel zum Erfolg? Dazu haben wir Adlershofer Unternehmer und Wissenschaftler befragt.
Eigentlich sollte es vorangehen, die Idee ist geboren, die Motivation ist hoch. Doch: Abwarten ist angesagt. Warten auf ein Signal des Investors, der Behörden, der Fördermittelgeber. Irgendwas steht immer im Weg. Davon können die Gründer des Berliner Start-ups Vestaxx ein Lied singen. Oder besser: Durchhalteparolen rufen. Vor drei Jahren begann das Team damit, ein neuartiges Fensterheizungssystem für Wohnhäuser zu entwickeln. In diesem Jahr soll es auf den Markt kommen. „Ab und an bekommt man einen Lagerkoller, Kraft und Ausdauer schwinden, zumal, wenn man ein Start-up zunächst nebenberuflich anschiebt“, berichtet Mitgründerin Wiebke Kropp-Büttner. „Doch im Team baut man sich wieder auf und weiter geht’s.“
Glücklicherweise. Denn die smarte Fensterheizung könnte den Markt revolutionieren. Statt üblicher Heizungsrohre werden Fenster und Glasflächen zum unsichtbaren Flächenheizkörper. Durch eine nanotechnologisch aufgebrachte Metalloxidschicht, die unter Strom gesetzt wird und so flächig Wärme erzeugt, sind Fenster nicht mehr jene Stellen am Haus, durch die Energie entweicht. Kropp-Büttner spricht von einem hohen Wirkungsgrad und bis zu 85 Prozent niedrigeren Investitionskosten gegenüber einer Wärmepumpe. Das Beste daran: „Die Wärme kann mit Strom aus regenerativen Quellen komplett CO2-frei erzeugt werden“, sagt die Gründerin. Doch die Politik sieht das derzeit anders, weswegen die innovative Technik als Stromheizung mit einem höheren Primärenergiefaktor als bei fossilen Energieträgern eingestuft wird. Hier müssen die Gründer noch Überzeugungsarbeit leisten – auch so eine Geduldsprobe. Doch darin sind die Gründer inzwischen geübt.
Warum haben sie dennoch nie die Flinte ins Korn geworfen? „Wichtig ist, immer das Ziel vor Augen zu haben und sich auf dem Weg dahin lieber kleine Zwischenziele zu setzen als zu große“, rät Kropp-Büttner. Mitunter müssen auch kleine Meilensteine an neue Gegebenheiten angepasst werden: „Vom Plan abzuweichen ist keine Schande.“ Zumal kleine Erfolgserlebnisse immens helfen, eine lange Wegstrecke durchzuhalten.
Ähnlich hält es auch Heike Rauer, die am Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt die Abteilung Extrasolare Planeten und Atmosphären leitet. Die Professorin und ihr Team sind auf der Suche nach erdähnlichen Planeten. Das sind in der Regel lange „Missionen“, die ohne Durchhaltevermögen nicht zu schaffen sind. „Man muss von dem Projekt und der zu Grunde liegenden wissenschaftlichen Idee überzeugt sein. Dann kann man sich immer wieder daran erinnern, worum es geht, und sich auf die wissenschaftlichen Daten und Ergebnisse freuen, mit denen die Arbeit am Ende belohnt wird“, beschreibt Rauer, was sie antreibt. „Die Projekte erstrecken sich immer über viele Jahre. Ohne Geduld aller Beteiligten lässt sich das nicht machen.“
Eine wirkliche Geduldsprobe ist für sie immer wieder die lange Zeitspanne, ehe aus einer Idee eine Satellitenmission wird, die schließlich Daten liefert. Etwa die PLATO-Mission der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), deren internationales Instrumentenkonsortium Rauer leitet. PLATO soll Ende 2025 mit einer Sojus-Rakete starten. Der Satellit wird dann nach Exoplaneten, also Planeten um andere Sterne, suchen. „Begonnen haben die Vorbereitungen für die Mission schon vor dem Jahr 2007. Erst im Jahr 2014 konnte sich PLATO dann schließlich gegen die Konkurrenz anderer Missionsideen durchsetzen und wurde von der ESA ausgewählt“, berichtet Rauer. Wenn alles läuft wie geplant, wird PLATO in diesem Jahr den noch ausstehenden Schritt der „mission adoption“, also der endgültigen Bestätigung durch die ESA, schaffen. Erst dann kann mit dem Bau des Satelliten und des Instruments begonnen werden. Nach dem Start im Jahr 2025 wird es dann eine Betriebsphase von vier Jahren geben, die noch um bis zu vier weitere Jahre verlängert werden könnte. Damit sind die wissenschaftlichen Auswertungen aber noch längst nicht abgeschlossen.
„Schwierig sind die Anfangsphasen in einem solch lang andauernden Projekt, in denen nicht klar ist, ob all die großen Anstrengungen auch zu einem Ziel führen“, sagt Rauer. „Wichtig ist es daher, in einem guten Team zu arbeiten, das sich immer wieder gegenseitig motiviert.“
Kaum übersichtlicher sind die Zeiträume in der Pharmaforschung: Mit Produktentwicklungszyklen von bis zu 15 Jahren von der Idee zum zugelassenen Medikament ist die Pharmabranche nur etwas für Langläufer. Beim Adlershofer Nuklearmedizinspezialist 3B Pharmaceuticals GmbH kommt man schneller zum wirtschaftlichen Erfolg, denn das Unternehmen lizensiert seine Medikamentenkandidaten bereits im Verlauf der Entwicklung an Pharmaunternehmen aus. Diese führen alle für eine Zulassung erforderlichen klinischen Studien durch und vermarkten das Medikament im Erfolgsfall. Beispielhaft hierfür ist das kürzlich mit dem französischen Pharmakonzern Ipsen geschlossene Lizenzabkommen rund um die Substanz 3BP-227. Ipsen wird den nuklearmedizinischen Wirkstoff zur personalisierten Therapie des Pankreaskarzinoms (Bauchspeicheldrüsenkrebs) entwickeln.
„Für Forschung und Entwicklung benötigt man einen sehr langen Atem und Gleiches gilt im Übrigen auch für die Gespräche mit potenziellen Lizenznehmern“, berichtet Jan Michel, Director Finance & Corporate Development. „Da der wissenschaftliche Erfolg nur schwer bis gar nicht planbar ist, hilft nur eine gewisse Diversifikation des Geschäfts dabei, Rückschläge in einzelnen Projekten zu verdauen“, betont er. „Der Erfolg erfordert die richtige Balance aus Beharrlichkeit und Zuversicht, gepaart mit der ständigen Bereitschaft, kritisch zu hinterfragen, ob man tatsächlich auf die richtigen Pferde setzt.“
Oder wie Kropp-Büttner es formuliert: „Wer zu ungeduldig ist, beraubt sich des Erfolges.“
Von Chris Löwer für Adlershof Journal