Unfähigkeit, Wissenschaft zu feiern
Schlechte Noten für die deutsche Bildungslandschaft vergibt der Wissenschaftshistoriker und Publizist Ernst Peter Fischer. Viel zu selten stehen Naturwissenschaftler im Rampenlicht, stattdessen feiern wir immer die Falschen, schreibt er.
Erinnern Sie sich an den einhundertsten Geburtstag von Max Delbrück im Jahr 2006? Der aus Berlin stammende Wegbereiter der Molekularbiologie, der 1969 den Nobelpreis für Medizin bekam, ist tatsächlich von der Wissenschaftsgemeinde groß gefeiert worden. Allerdings nicht in Deutschland, sondern in den USA und Spanien.
Wir feiern stattdessen ununterbrochen die Falschen: Wie zum Beispiel Schauspieler, die Nebenrollen in unbedeutenden Fernsehspielen übernommen haben und in den Nachrichtensendungen des deutschen Fernsehens eine Aufmerksamkeit bekommen, als ob sie für die Entwicklung der Raumfahrt und des Lasers gleichzeitig gesorgt hätten. Dagegen erfahren wir kaum etwas, wenn große Evolutionsforscher wie Ernst Mayr sterben. Und warum ist den Gremien der Deutschen Forschungsgemeinschaft noch nicht aufgefallen, dass sie zwar seit Jahren einen sogenannten Communicator-Preis verleihen, dass es aber die Ausgezeichneten noch in keine Talkrunde des Fernsehens geschafft haben und deshalb dem breiten Publikum verborgen bleiben? Was könnte einfacher sein, als ebendiese Preisträger in ein Studio einzuladen und zu fragen, was das Vermitteln von Wissenschaft denn so schwierig macht und wie man das Problem lösen kann?
Dabei gibt es so viele Wissenschaftler, deren Bekanntschaft sich lohnt. In diesem Jahr etwa stehen Charles Darwin und seine evolutionäre Botschaft im Zentrum. Doch Festlichkeit oder gar Glanz wollen sich in vielen Veranstaltungen dazu nicht einstellen. Immer fragt irgendein Skeptiker, ob Darwin den lieben Gott verunglimpft hat oder wie es sich mit dem intelligenten Design verhält. Kaum jemand will wirklich etwas über Darwin wissen, dass er nämlich Natur primär als Fest der Vielfalt begreift und diese Schönheit zelebriert.
In diesem Jahr gäbe es viel zu feiern – vor allem in Berlin, wo die Charité dreihundert und die Humboldt-Universität zweihundert Jahre alt werden. Und wenn man nicht zu genau hinschaut, kann man die Max-Planck-Gesellschaft hinzunehmen, die am 11.1.1911 als Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft ins Leben gerufen wurde. Keine Frage – das Potenzial der Jubiläen macht Eindruck, und vielleicht verirrt sich auch einmal – neben den üblichen Vertretern aus Politik und Gesellschaft – ein Historiker in die Festgemeinde. Ich sehe da allerdings schwarz. Für einen gestandenen Geschichtsschreiber spielen die Naturwissenschaften keine Rolle, auch wenn er mit dem PC schreibt, das Flugzeug benutzt und sein Essen in der Mikrowelle aufwärmt. Zwar besteht die Aufgabe seiner Zunft darin, herauszufinden, „wie es eigentlich gewesen“ sei, wie wir also das geworden sind, was wir sind. Doch ihre Vertreter lassen lieber tausendmal Napoleon aufmarschieren, als einmal auf die Dampfschiffe hinzuweisen, die damals aufkamen (und die Welt mehr veränderten als der Kaiser).
Wir müssen Wissenschaft als Schaffung unserer Lebenskultur verstehen. Dazu gehören nicht nur Worte wie Radar, Resonanz oder Röntgen, die wir ihr verdanken und mit denen wir die Welt sichten. Dazu gehören auch Feste und Feierlichkeiten. Wir verschenken zurzeit selbst die besten Gelegenheiten. Als Anfang Dezember in Stockholm die Nobelpreise überreicht wurden, war das wichtiger als eine Bambi-Verleihung. Aber wir haben wieder nicht zugeschaut. Wir haben auch schon vergessen, wer da wofür ausgezeichnet wurde. Unsere naturwissenschaftliche Bildung bleibt eine kulturelle Blamage.
Ihr
Ernst Peter Fischer
Wissenschaftshistoriker und Publizist