Vorausschauende Wartung für den Schienenverkehr
Das Start-up PANTOhealth will Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit des Zugverkehrs erhöhen
Die Eisenbahn gilt als umweltfreundlichste Form des öffentlichen Verkehrs. Doch sie hat ihre Probleme. Verspätungen und Ausfälle zum Beispiel. Ein Grund dafür sind außerplanmäßige Wartungsarbeiten an der Infrastruktur.
„Wir wollen die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit des Zugverkehrs erhöhen“, sagt Mina Kolagar. Gemeinsam mit Farzad Vesali, Morteza Nokhodian und Amir Bashari hat sie deshalb 2020 das Berliner Start-up PANTOhealth gegründet, das vorausschauende Wartungsdienste für Eisenbahnunternehmen anbietet. „Nehmen wir zum Beispiel die Oberleitungen. Sie sind ein wichtiger Teil der Infrastruktur“, erklärt Kolagar. „Sie stehen unter Hochspannung, müssen für Wartungsarbeiten abgeschaltet und die Strecke für zwei oder drei Kilometer gesperrt werden.“ Die Herausforderung: Bisher kann niemand sagen, wann ein Problem auftritt. Um dem entgegenzuwirken, bestückt PANTOhealth Züge mit Sensoren. Diese zeichnen die Vibrationen der Stromabnehmer auf, wenn sie über die Oberleitung gleiten. Dank maschinellen Lernens kann ihr System vorhersagen, auf welchem Streckenabschnitt eine Wartung in nächster Zeit am wahrscheinlichsten nötig ist.
„Die Geschichte von PANTOhealth lässt sich nicht von unserer Migrationsgeschichte trennen“, erzählt Kolagar. „Sie geht zurück auf das Jahr 2016, als Farzad und ich Gastforschende in Deutschland waren.“ Mina Kolagar studierte Energiesystemtechnik in Leipzig und Farzad Vesali Maschinenbau und Schienenfahrzeugtechnik an der Technischen Universität Berlin. „Im Iran sind unsere Universitäten sehr auf die Theorie fokussiert. In Deutschland arbeiten sie sehr gut mit der Industrie zusammen.“ Für die beiden, die ihre Forschung sehr gern praktisch genutzt wissen wollen, war das eine großartige Erfahrung. Es sei dann auch ihr Geschäftspartner gewesen, erzählt sie weiter, der die Ergebnisse seiner Dissertation einigen Experten in der Industrie vorstellte. Es ging um die Interaktion von Stromabnehmern und Oberleitungen. Und um Simulationen, wie die Infrastruktur auf die Geschwindigkeit der vorbeirauschenden Züge reagiert. „Die Wartungsmitarbeiter von Bahnunternehmen müssen möglichst genau wissen, wann Anlagen wie beispielsweise Oberleitungen gewartet werden sollen“, erklärt Kolagar. Dafür könnten Vesalis Forschungen der Schlüssel sein. Nachdem dieser 2019 erfolgreich promoviert wurde, konzentrierten sie sich voll auf die Idee. Ein Jahr später war PANTOhealth geboren.
Einfach war es nicht, erinnert sich Kolagar. „Unser ganzes Gründungsteam ist nach Deutschland eingewandert. Es gibt so vieles, das neu ist“, sagt sie. „Die Sprache zu lernen. Die Kultur zu verstehen. Und die Geschäftsgepflogenheiten. Das sind persönliche Herausforderungen.“ Und auch die Branche, in der sich das junge Team bewegt, geizt nicht mit Herausforderungen. „Die Bahnbranche hat ihre eigenen, sehr strengen Standards. Jedes Produkt muss einwandfrei sein. Denn wenn es ein Problem gibt, besteht ein Risiko für Menschen.“ Das heißt im Umkehrschluss: Innovative Ansätze wie vorausschauende Wartung müssen sich wirklich beweisen, bevor sie eine Chance bekommen. „Das verlängert die Produktentwicklung. Der Verkaufszyklus steigt und damit auch das Geschäftsrisiko.“ Helfen sollen erste Geräte zur Datenerfassung, die aktuell in Deutschland und Belgien im Einsatz sind.
Von sich überzeugen konnte das im Charlottenburger Innovations-Centrum (CHIC) ansässige Unternehmen bereits die Jury des Berliner Wirtschaftspreises. Denn im August 2022 wurde es zum Newcomer des Jahres gekürt. „Den Moment, als die Gewinner:innen bekannt gegeben wurden, werde ich nie vergessen“, sagt Kolagar. „Da wusste ich, dass Berlin die richtige Entscheidung war. Es ist eine Stadt, die neue Ideen annimmt. Es spielt keine Rolle, woher du kommst oder in welcher Branche du tätig bist. Das war so herzerwärmend.“
Kai Dürfeld für POTENZIAL